„Ton bereit.“
„Kamera bereit.“
„Dann – bitte los!“
„... und Coca-Cola ist ein Weltbürger: Die Coca-Cola Company wohnt in allen Kulturen gleich nebenan, sie spürt die Bedürfnisse ihrer Nachbarn und hat immer ein offenes Ohr für das Lebensgefühl der Communities, mit denen sie sich bewegt. Wofür die Herzen der Menschen auch schlagen – ob sie nun in Italien arbeiten, mit der Gitarre durch die USA trampen oder in Korea ihr Geschäft aufbauen – Coke ist ein Teil ihres Lebens! Und hier im Senegal schlagen die Herzen heute für den Fußball: El Hadji Diouf und die Lions haben den senegalesischen Fußball an die Weltspitze geführt – Grund genug für Coca-Cola, den Pokal der FIFA World Championship nach Dakar zu bringen, in der Hoffnung, dass er ...“
„Tonproblem!“
„Schnitt! Ja Scheiße, was ist das denn für ein verkacktes Geböller?! Wir arbeiten hier!“
„Mireille, kümmer dich um Monsieur Dubos. – Wir machen eine kleine Pause, Monsieur Dubos! Das sind die Trommeln, Kurt. Die proben für die Parade. Du wolltest das als Atmo.“
„Kein Schwanz hat gesagt, dass diese Scheißneger so einen Radau machen. Kriegen wir das weg?“
„Kaum.“
„Was heißt ‚kaum’?“
„Nein.“
„Dann sag NEIN! Verdammte Scheiße.“
„Wenn du meinst, sag ich einen Locationwechsel an. Dann fahren wir zur Route de la Corniche und drehen die Ersatzvariante beim neuen Millenium-Monument.“
„Von mir aus, dann machen wir diese Freiheits-Sülz-Moderation. Sag Umbau.“
„Umbau! In 10 Minuten ist alles im Bus. Fahrer, nächste Station ist das Millennium-Monument.“
Also packten wir unsere Sachen. Monsieur Dubos, der toupierte französische Sportfuzzi, den Cola für die ideale Integrationsfigur hielt, trippelte flankiert von Mireille, der Puderquaste, und einem Boy mit Sonnenschirm zum Wagen und ließ hinter sich demonstrativ die Tür zuschmeißen. Er war drin, mit Sonnenblende, Klima und Softdrinks, wir waren draußen. Mit dem Equipment, dem Scheißsand und dem Beginn der Hitze.
Ich hatte mit Henning alles besprochen – „Es ist wie ein Wüstendreh. Nur mit mehr Dreck“ – und war mit antistatischen Fleece-Tüchern, Pinseln und Baggies hier angereist und versuchte in erster Linie eins: Eine Milliarde Kubikmeter Flugsand aus der Kamera rauszuhalten. Der Rest war ein Kinderspiel. Henning war ein Top-Kameramann und ein netter Kerl, der Tonmann war Franzose und ließ mich in Frieden und Kurt war eben Kurt. Rassist war noch das Netteste, was man zu hören bekam, wenn man jemanden nach seiner Meinung über Kurt fragte. Also fragte man nicht. Kurt selbst war schlimm genug, da brauchte man nicht auch noch eine Meinung über ihn hören.
Schließlich saßen wir alle im Auto, die kleine, zerzauste Familie vom Film rumpelte schnatternd durch Dakar. Hinten lümmelten der toupierte Monsieur und Mireille und gurrten auf Französisch, bis sich Monsieur ganz charmant fühlte; dafür hatte Mireille, die Puderquaste, auch zu sorgen: Monsieur durfte nicht glänzen und musste sich charmant fühlen. Kurt furzte, rüpelte herum und befahl seiner hübschen Assistentin Karin, uns Dinge zu befehlen, die er uns auch selbst hätte befehlen können. Vorne saßen die zwei Jungs von der SOBOA-Brauerei, die die Cola-Advertisements betreuten und der Tonmann. Henning und ich hatten ein weißes Handtuch auf den Knien und versorgten die Kamera.
Nach einer kurzen Fahrt vorbei an Haufen von Häusern und Menschen und Müll bauten wir unseren Krempel neben einer gut 20 Meter hohen Statue wieder auf. Das Set unserer Ersatzmoderation strahlte in falschem Gold und war an Absurdität nicht zu übertreffen. Direkt an der vierspurigen Küstenstraße stand ein riesiger, heller Steinbogen, in dessen Mitte eine goldene Frau mit gekreuzten Beinen auf einem Felsblock saß und in eine Tröte blies. In den Felsblock war eine Pforte gemeißelt, durch die man auf den Ozean blicken konnte. Der Künstler muss besoffen gewesen sein oder er war blind, was weiß ich. Das Ding war jedenfalls unfassbar und passte gut hierher.
Monsieur Dubos ließ in der Felspforte seine Moderation über die tiefe Verwurzelung von Coca-Cola in allen grundlegenden menschlichen Werten wie Freiheit, Glück und Spaß vom Stapel und Mireille wischte ihm zwischen den Takes den Schweiß von der Stirn. Im Hintergrund brach sich der Ozean an einer Küste, die zu jeweils 50 Prozent aus Dreck und Fels zu bestehen schien.
Die Boys von der SOBOA, dem lokalen Cola-Bottler, schleppten lasch die Dispenser aufs Set und als Monsieur
endlich fertig war, rannten Henning und ich wie die Irren von MTV zwischen den Kindern und Passanten hin und her und drehten mit Shutter lauter glückliche Negerlein, die sich ganz kaltes Cola aus den leuchtenden Kühlboxen schnappten und lachend den prominentesten Softdrink der Erde in sich hineinkippten. Über allem schwebte die goldene Tröte der Frau vom Monument und wäre nicht Henning am Sucher dieser Kamera gehangen, ich hätte geschworen, dass uns die freundliche Coca-Cola Company für das Resultat unserer Arbeit die Haut hätte abziehen lassen.
Gegen Mittag wurde es wie erwartet ernsthaft heiß und der 'Golden Frames'- Produktionstross zog sich zum Hotel zurück. Wir hatten unser Pensum erfüllt und Henning hatte auf der Straße ein paar wirklich lebendige Schnittbilder eingefangen – lachend, aus der Hüfte und als die Gefilmten angerannt kamen, um für ihre unfreiwillige Modeltätigkeit Geld oder Geschenken zu fordern, prallten sie an Karin ab, dass man denken konnte, wir hätten die Unverschämtheit erfunden und nicht die Senegalesen.
Kurt hatte abschließend seinen verschwitzten Arsch in den Bus gewuchtet und Karin befohlen, uns zu befehlen, uns nach dem Essen unverzüglich in meinem Zimmer zum Materialsichten zu versammeln. Für mich bedeutete das den Ausfall der nach dem Frühstück zweiten Mahlzeit dieses Tages, da ich nun in meiner Mittagspause den Monitor aufbauen und die Bänder vorbereiten musste, während die Crew gegrillte Meerestiere einwarf. Wegen dieser Art von Privilegien war ich schließlich Kameraassistent geworden.
Unser Bus kurvte die Route de la Corniche entlang, die rund um das Cap Vert führte und das Chaos von Dakar
und die Weite des Meeres trennte. Mit Karins Einverständnis hatte der Fahrer diesen etwas längeren Weg genommen, da die Innenstadt wegen der Vorbereitungen auf die morgige festliche Parade völlig verstopft war.
Und wegen dieser großen Show waren wir hier: Erstmals in seiner Geschichte hatte sich Senegals Fußballnationalteam für die Endrunde einer FIFA-Weltmeisterschaft qualifiziert und der amtierende Weltmeister Frankreich hatte dem WM-Hauptsponsor Coca-Cola den originalen WM-Pokal zur Verfügung gestellt, damit er dem Völkchen in der ehemaligen Kolonie feierlich vorgeführt werden konnte. Wie sonst hätten die verstehen sollen, worum es bei einer Fußball-WM ging. Ich selbst litt nach wie vor unter der Schmach, dass unser Team nicht bei der WM war, aber Henning hatte mir mit Expertenmiene erklärt, dass die Qualifikation des Senegal – aus neutraler Sicht – die bei Weitem größere Überraschung war als das Scheitern Österreichs.
Es erübrigt sich zu sagen, dass Henning gebürtiger Deutscher war.
Und obwohl ich Österreicher und daher von Natur aus neidig und mieselsüchtig bin, war es schön zu sehen, dass die Menschen im Senegal nicht nur damit beschäftigt waren, uns anzuschnorren, auszurauben
oder mit ihrer Faulheit unsere Arbeit zu versauen, sondern sich nebenbei auch riesig über ihre erste WM-Teilnahme freuten. Überall gingen Menschen mit großformatigen WM-Kalendern in der Hand spazieren, die vom Hersteller eigentlich als Schreibtischunterlagen konzipiert worden waren. Da im Senegal aber scheinbar niemand an seinem Schreibtisch saß, nahmen die Leute ihre Kalender mit auf die Straße, wo sie dann über die bevorstehenden Spiele diskutierten. Zumindest sah es so aus. Bei dieser Stimmung in der Stadt konnte sich Cola eines enormen Branding-Effekts sicher sein.
Tatsächlich war es nicht leicht, nichts von der Präsentation des Pokals mitzubekommen. Die Veranstaltung war als dreitätige Parade konzipiert, die Dakar völlig lähmte und mit einem offiziellen Termin beim Präsidenten enden würde. Dank unserer Mitarbeit konnte sogar die senegalesische Landbevölkerung die begehrte Trophäe bewundern, wenn auch nur im Fernsehen. Und niemals ohne Cola-Logo im Hintergrund.
Wir bogen von der mehrspurigen Route de la Corniche ab und meine gestrige Befürchtung, hier im wackeligen Haus des Wahnsinns gelandet zu sein, kroch mir wieder in die Glieder.
Henning und ich landeten mit unserem Kameraequipment am Flughafen von Dakar. Es war heiß, ich schleppte die Kamera und Henning, dessen Französisch klang wie eine Mainzer Karnevalsparodie, hatte die endlosen Formalitäten erledigt. Soweit schien alles normal.
Draußen zerrten diverse Gepäckträger geldgierig an meiner heiligen Kameratasche und ich stellte einmal mehr fest, dass ein energisches „Ich hau dir gleich auf die Pratzen!“ überall verstanden wird. Auch das war normal.
Dann fuhr unser Taxi in Dakar ein. Ich wusste, dass es sich um eine prominente Stadt handelte, dass hier eine prominente Rallye endete und dass es keine U-Bahn gab, obwohl über drei Millionen Menschen in dieser Stadt lebten. Was ich nicht wusste, war, dass Dakar nichts als ein Haufen Dreck war, auf dem ein Haufen Häuser stand. Unser Fahrer wies darauf hin, dass er die Stadtautobahn meiden würde, da wir als Weiße ohne Zweifel von der Polizei aufgehalten und zur Kasse gebeten würden. Der wahre Grund für diese rücksichtsvolle Maßnahme war wohl eher im Fehlen gültiger Papiere zu sehen, aber es war egal. Der Fahrpreis war fix, es war 16:15 und wir hatten unseren Koordinationstermin mit Kurt und Karin erst um 21:00 – was also war das Problem?
Ein Teil des Problems war: Unsere Straße war nicht asphaltiert. Bei genauerem Hinsehen zeigte sich, sie war es doch. Allerdings war der Belag so löchrig und schlecht, dass wir nur am Sand neben der Fahrbahn fahren konnten. Das weit größere Problem war: Die nächste Straße, in die wir einbogen, war gar nicht asphaltiert und nach rund 500 Metern grub sich unser Gefährt bis zur Radnabe ein. Viel war nicht zu machen. Wir mussten schieben.
Paniert in Schweiß und Staub krümmte ich mich über das Heck unseres gelben, löchrigen Taxis und schob. Durch ein rostumrandetes Loch im Blech des alten Wagens sah ich unsere Kameratasche im Halbdunkel des Kofferraumes stehen und hörte auf zu schieben. Die Tasche war völlig mit Dreck überzogen und in eine Wolke aus Sand und Rauch gehüllt.
Weder Henning noch ich hatten darauf geachtet, auf was wir unsere Tasche stellten, als wir sie in den Kofferraum des Taxis sinken ließen. Wir hatten einfach damit gerechnet, dass es der Boden des Kofferraums eines alten Peugeot sein würde. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es sich um drei Lagen Maschendraht mit einem Stück Karton
darauf handeln könnte, die den verlorenen Boden ersetzten und durch die all der Dreck und der Staub, über den wir fuhren, genau auf unsere Kameratasche gewirbelt werden würden. Wir waren nicht begeistert. Ich war nicht begeistert.
Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem Henning und ich in einer schnöseligen Wiener Szenebar beschlossen hatten, uns selbständig zu machen. Anschließend hatten wir uns betrunken, Henning wollte ins Puff, aber ich sparte mein Geld für die wichtigste Investition, die ein junges Kamerateam tätigen muss: eine Kamera. Seitdem haben wir gute Jobs gehabt und schlechte Jobs gehabt, manchmal auch keine Jobs gehabt. Aber sobald es etwas zu teilen gab, wurde es im Verhältnis 30:70 geteilt. Wie die Kosten der Kamera.
Und diese Kamera war jetzt wahrscheinlich kaputt. Oder genauer: Erst nach einer Generalüberholung durch den Hersteller wieder einsetzbar. Aber das war egal, denn das ganze Problem war: Wir hatten kein Ersatzgerät, keine Möglichkeit, eins aufzutreiben und wenn wir einen Promotiondreh mit Kurt Gratzner für Coca-Cola schmissen, weil wir mit einer total versauten Kamera nach Dakar gekommen waren, konnten wir auf Koch/ Kellner umlernen. Nicht, dass das hier ein toller Job war, über den die Branche jemals reden würde; ich hatte andere als berufliche Gründe gehabt, als ich Henning vollschwatzte, ihn anzunehmen. Aber es war ein Job für Kurt. Den Kurt, den jeder kannte, den jeder hasste und dem jeder irgendetwas schuldig war. Und wenn wir diesen miesen kleinen Job verkackten, würde das unser letzter Job gewesen sein.
Henning sagte nichts. Aber er wollte die Kameratasche öffnen. Also sagte ich etwas. Und zwar: „Das machen wir besser im Hotel. Immerhin, sie ist auch in einem Plastiksack. Vielleicht ist sie ja ok.“
Henning sah mich an wie ein ärmlicher Rutger-Hauer-Klon. Offenbar überlegte er, wen er umbringen wollte – mich, den Taxifahrer oder jeden in der näheren Umgebung. Zum Glück war Henning ein bisschen dick und nicht sehr kräftig und wusste, dass er hier überhaupt niemanden umbringen würde. Trotzdem hatte der Taxifahrer den krisenhaften Stimmungswechsel erkannt und einige junge Leute zum Schieben verdonnert.
Ich setzte mich auf die Rückbank, die Kameratasche stand neben mir. Unter dem rötlichen Braun des Sandes konnte man ihr ursprüngliches, tiefes Blau erkennen. An manchen Stellen. Henning saß vorne.
Als wir wieder flott waren, klopfte ein sehniger junger Mann, der sich beim Schieben zurückgehalten hatte, gegen die Scheibe und forderte Geld. Bevor irgendjemand etwas tun konnte, reichte ich ihm den ersten Schein, den ich in meiner Tasche zu fassen bekam. Es waren 5000 CFA. Etwa 100 Schilling. Knapp 7 Euro 30.
Der Junge steckte den Schein ohne sichtliche Gemütsregung ein und zog ab. Aber unser Taxifahrer sah mich an, als wäre ich verrückt.
Und dann überlegte er es sich anders und sah mich
an, als hätte ich ihn damit provozieren wollen. Er bekam für seine ganze Fahrt von rund 50 Minuten 4500 CFA. Ich blickte in das finstere Gesicht des Fahrers und als er mich so über den Rückspiegel ansah, hatte ich Angst vor ihm. Es lief beschissen in Dakar.
Unsere Kamera schaukelte auf meinen Knien, das weiße Handtuch unter ihr verlieh ihr etwas Heiliges. Sie hatte es überlebt. Mich und Henning nicht im Stich gelassen und meine alberne Zweitexistenz nicht auch noch ruiniert. Seit unserer Ankunft gestern Abend im Hotel hatte ich durchgehend zu tun gehabt und keinen Gedanken an das Wunder verschwendet, das uns und unsere Kamera gerettet hatte. Die Routine der Arbeit, die Hitze und die Abgeschlossenheit unseres Teams verdrängten Afrika und all die Schwierigkeiten, die man hier haben konnte, aus meinem Bewusstsein. Ich war einfach nur Kameraassistent. Außerdem hatten wir unseren Bus und wir hatten einen Geländewagen. Beide mit Klima, beide dicht und beide versichert. Praktisch alles, was es in Dakar gab, wäre einfach auseinandergefallen, hätten wir es mit einem unserer Boliden auch nur gestreift. Ich hatte begonnen, mich sicher zu fühlen.
Und dieses Gefühl, trügerisch wie es war, verließ mich jetzt, die Bodenlosigkeit dieser seltsamen Stadt meldete sich zurück. Auf der bestenfalls zweispurigen Fahrbahn rollten vier Kolonnen schrottreifer Pkw, Kleinbusse, Karren und Mopeds auf den absehbaren Verkehrsinfarkt im Zentrum von Dakar zu. Unser Fahrer spuckte ärgerlich aus dem Fenster, wetzte auf seinem Sitz hin und her und reckte seinen Kopf in alle möglichen Richtungen, um eventuell befahrbare Straßenabschnitte zu erspähen. Kurt machte das hektische Getue nervös, Karin erkundigte sich nach dem Grund der neuerlichen Kursänderung und der Fahrer riss mit einem brüsken „Ah!“ das Steuer herum. Unser Bus holperte von der Fahrbahn und wir pflügten durch das sandige Niemandsland am Rand der Straße, bis unsere Fahrt nach wenigen Metern zu Ende schien. Vor uns lag ein riesiger Markt, eine Mauer aus Menschen und Marktständen, durch die kein Weg zu führen schien. Kurt glotze zuerst den Sauhaufen vor sich an und dann unseren Fahrer. Ich hätte auf ihn getippt, aber es war der Fahrer, der zu brüllen begann. Sein Schädel ragte weit aus dem Wagenfenster und er bellte in seiner rauen,
unverständlichen Sprache auf die wenigen tausend Menschen vor unserem Bus ein. Selbst einem größenwahnsinnigen Egomanen wie Kurt musste es aussichtslos erscheinen, einen halben Stadtteil wegbrüllen zu wollen, aber der Fahrer hatte Erfolg. Hier wurde ein Karren weggerissen, dort sprang jemand zur Seite und ganz allgemein traten die Kinder, die uns Säckchen voll Obst, Ladegeräte, Haarglätter, Parfumflakons und Osama-Bin-Laden- Leibchen anboten, einen winzigen Schritt zurück. Mit jedem Meter, den wir fuhren, befuhren wir einen weiteren Meter löchriger Straße und drangen in unserem Touristen-Wagen in die Masse aus Leibern und Produkten vor uns ein – ein leckerer Happen im Land der Phagozyten. Von oben muss das ausgesehen haben wie eine dieser Archiv- aufnahmen, die mit dem Elektronenmikroskop gemacht und immer dann in Berichte über moderne Medizin geschnitten werden, wenn gerade jemand erklärt, dass irgendwelche Zellkerne in irgendwelche Zellen implantiert wurden, wo sie eigentlich nicht hingehörten und dafür sorgen würden, dass menschliche Ohren am Rücken von Mäusen wachsen konnten – oder etwas in der Art.
Wir waren aber nicht oben, wir waren mittendrin. Um uns brodelte der Markt und wie es hier aussah, konnte man in seinen hintersten Winkeln auch kleine Kinder kaufen. Eingepackt oder frei laufend, ganz egal.
Karin wiederholte in lauerndem Tonfall ihre Frage, weshalb wir diesen Weg genommen hatten; ich kannte sie nur flüchtig, aber ich konnte mir vorstellen, wie sie sich darauf freute, völlig auszurasten, falls der Fahrer vorhaben sollte, unter einem fadenscheinigen Vorwand bei einem dieser Läden zu halten. Aber der war ganz sachlich und meinte, das wäre eine Abkürzung, die anderen Straßen zum Hotel wären alle verstopft.
„Eh, klar. Und da ist frei. Also führ's nieder die Kanaken, ich muss scheißen.“
Kurt ...
Nach der Marktquerung ließen wir das Dakar des Drängens, Stoßens und Klauens hinter uns und erreichten eine gesichtslos hässliche aber ruhige Gegend, in der wir tatsächlich freie Fahrt hatte. Wir rumpelten über eine Art lokale Geschäftsstraße, in die sich sonst wohl kaum ein Weißer verirrte. In Läden, die mich an ausgebrannte Garagen denken ließen, stapelten sich Reissäcke aus Thailand, Gebrauchsgegenstände aller Art, Werkzeuge und Kinderspielwaren, von den Decken hingen in dichten Bündeln winzige Plastiksäckchen voll Zucker, Nescafé, Waschpulver oder Instantmilch. Ich betrachtete die Fremdartigkeit, in der sich hier das normale Leben der Bevölkerung abzuspielen schien, Karin stocherte auf ihrem Palm herum und Kurt wurde schlecht.
Das äußerte sich zunächst darin, dass er beharrlich schwieg, später rülpste, einen üblen Wind streichen ließ und schließlich befahl zu halten. Kurt riss die Wagentüre auf und rannte zum Straßenrand, wo er sich hinter ein geschnitztes Betthaupt hockte und seinem Durchfall freien Lauf ließ. In der folgenden turbulenten Szene bewies er immerhin die Größe der Unbeirrbarkeit. Das mächtige geschnitzte Betthaupt war keineswegs ein verwaistes Stück Müll am Straßenrand. Es stand gemeinsam mit Kommoden, anderen Betten, tapezierten Sofas und vorweihnachtlich dekorierten Puppenhäusern in einer Art Freiluftauslage, die dem Tischler, der all das hier hingestellt hatte, auch als Werkstatt diente. Dieser Tischler rannte nun schreiend und mit seinen schwarzen, muskulösen Armen gestikulierend auf Kurt zu, der das feilgebotene Mobiliar wie jeder normale Europäer für einen Haufen Schrott gehalten und irrtümlich mitten in ein typisches senegalesisches Möbelgeschäft geschissen hatte. Der Tischler brüllte nach Wiedergutmachung, Kurt brüllte nach Klopapier und Karin näherte sich in einwandfreier Haltung mit einem 10.000-CFA-Schein für den einen und
einer Packung Taschentücher für den anderen dem Schauplatz. Von der folgenden Diskussion war bei uns im Wagen kein Wort zu verstehen, aber der Anblick war einiges wert. Kurt wischte sich den Hintern ab und schnaubte den wütenden Senegalesen mit hervorquellenden Augen an, Karin sprach leise und sachlich und der Senegalese warf den ihm zugesteckten Geldschein auf den Boden. Rund um die kleine Gruppe versammelten sich andere Schwarze – Händler, Kinder und Frauen – die teils lachten, teils ärgerlich wirkten und teils Kurts weißen Hintern inspizierten. Über all diese Pracht breitete eine Akazie das Dach ihrer Äste und einige Ziegen rupften an den Grasbüscheln am Straßenrand. Es hat auch Vorteile, wenn man nicht zum Essen kommt.
Und zum Essen kam ich nicht. Sobald wir im Hotel angekommen waren, rannte Kurt aufs Klo, Karin und Henning schlenderten zum Restaurant, der Tonmann hatte für den Rest des Tages frei und Monsieur Dubos wollte es sich nicht nehmen lassen, Mireille eine lauschige Terrasse zu zeigen, von der man einen Ausblick „très romantique“ hatte. Arme Puderquaste. Aber auch: armer Chi.
Armer Chi, das bin ich. Eigentlich heiße ich Martin Tschirner, aber weil in Österreich fast jeder Martin heißt, werde ich seit der Untermittelschule Chi gerufen. Von Chirner. Und jetzt, während alle anderen fraßen, schissen, die Aussicht genossen oder sonst wie Spaß hatten, bereitete ich mein Zimmer auf das Sichten vor: Ich baute den Monitor auf, schloss ihn an die Kamera an und checkte die Aufnahmen. Henning hatte aus den Möglichkeiten das absolute Maximum herausgeholt. Ich mochte seine Arbeit. Selbst bei einem so banalen Dreh und mit den Mitteln einer Reportage für den aktuellen Dienst gelang es ihm, das Leben der Menschen und die Leidenschaft darin einzufangen. Er war der perfekte Betrüger.
Ich ergänzte die Materiallisten und notierte vorab
die Timecodes der wichtigsten Szenenwechsel – üblicherweise hüte ich mich davor, Einfluss auf die Materialauswahl zu nehmen, aber Karin und Henning hatten praktisch während des Drehs entschieden, welche Sequenzen in den Schnitt kommen sollten; und als braver Assi hatte ich das natürlich alles im Kopf. Nur einmal würde Kurt grunzen, was uns Arschlöchern einfiel, seine Scheißarbeit zu machen und dass diese oder jene Szene sicher kein Kopierer war – Kurt verstand sich auch bei einem Videodreh als Film-Regisseur – aber sonst war alles so gut wie geritzt.
Nach einer Dreiviertelstunde war unser Sichttermin vorbereitet, als wäre er meine Meisterprüfung: Der Monitor lief, das Band war vorbereitet, die Timecode-Zählung durchgeschaltet, die Kassetten standen in Reih und Glied, die Materiallisten lagen in einem präzisen Stapel parallel zur Tischkante, in Griffweite daneben ein Kugelschreiber. Der große Ledersessel genau vor dem Monitor war für Kurt, der Rohrsessel mit Polster daneben für Henning, der zweite Rohrsessel mit Polster seitlich beim Tisch für Karin und ich würde neben der Kamera stehen. Langsam fragte ich mich, was unser Gestalter- und Produktionsteam so trieb. Einen flotten Dreier?
Mit Kurt und Henning als Mackern konnte das wohl kaum so lange dauern. Es blieb nichts anderes zu tun, als mir zu überlegen, was ich tun könnte. Wenn ich jetzt begann, die Optiken zu reinigen, würde garantiert die Türe auffliegen und Kurt mich im Moment anbrüllen, dass ich die ganze Partie aufhielt. Also würde fürs Putzen der Rest meines Nachmittags draufgehen und ich entschied, nichts zu machen.
Ich stellte mich müßig ans Fenster und war ehrlich überrascht.
Nachdem ich in meinen ersten 21 Stunden in Dakar hauptsächlich Chaos, Dreck, Fremdheit und Gedränge erlebt hatte, bot sich mir hier ein neues Bild: Mein Zimmer lag an der der Stadt abgewandten Seite unseres Hotels und vor mir breitete sich der Atlantik aus. Graublau und kräftig, die Sonne hämmerte ihn zu einer dimensionslosen Fläche. Wie ein Scherenschnitt ragte eine zerklüftete Felsinsel aus der gleißenden Wasserplatte und ich fragte mich, ob das das berüchtigte Sklaveneiland Gorée war.
Schräg unter meinem Fenster führte eine Holzbrücke vom Hotel zum Strandrestaurant. Man brauchte sich also am Weg zum Candle-Light- Dinner nicht unter den Pöbel der Straße zu mischen,
wenngleich es auf dieser schmalen, von Bäumen gesäumten, elitären Straße, an der – so stand es in der Room-Info – auch der Präsidentenpalast lag, wohl kaum Pöbel gab.
Sonst mochte Dakar reich mit Pöbel gesegnet sein, aber das hier war das Teranga Hotel und den
Geschäftsleuten und Superreichen vorbehalten.
Das Wort 'Teranga' ist Wolof und bedeutet Gastfreundschaft. Ich hatte einige Worte dieser verrückten, bellenden Sprache gelernt. Immerhin würde ich hier einen Urlaub anhängen.
Als Henning, Karin und Kurt ohne zu klopfen in mein Zimmer krachten und mich so aus meiner Träumerei rissen, war ich mir für meine präzise Vorbereitung sehr dankbar. Kurt mochte ein perverser, verrückter, rassistischer Sadist sein, aber er arbeitete wie eine Maschine und man konnte unmöglich mit ihm Schritt halten, wenn man zerstreut war.
Nach weniger als 30 Minuten waren alle "Kopierer" notiert und Karin gab mir die Adresse von Image Afrique, der Produktionsfirma, zu der alle Bänder und Listen nach Abschluss des morgigen Vormittagsdrehs gebracht werden mussten. Wenn das Material vor 11:00 bei Image Afrique eintraf, konnte unser kurzer Beitrag in den Hauptnachrichten des senegalesischen Staatsfernsehens RTS1 gezeigt werden.
Darauf war der ganze Deal mit Kurt angeblich ausgerichtet. Cola wollte in die Nachrichten.
Sie sahen unseren kleinen Film, der die Qualifikation des senegalesischen Teams für die von Coca-Cola gesponserte Fußball-WM zusammenfasste und die von Coca-Cola finanzierte Präsentation des originalen WM-Pokals in Dakar zeigte, als landesweit
relevante Nachricht und nicht als Promotion; Coke ist ein Teil des Lebens, hatte uns Monsieur Dubos am Vormittag erklärt. Und warum klappte das alles? Weil es Karin in ihrem Job offenbar ziemlich drauf hatte. Sie war maximal einen Meter fünfundfünfzig, ihre blonde Kurzhaarfrisur hielt vermutlich auch einem Orkan stand und selbst in ihrem sportiven Set-Outfit wirkte sie staatstragend. Henning pflegte als eine Art Kompliment über sie zu sagen: „Wenn einer der Filmindustrie einen Gefallen tun will, muss er Karin in einer Auflage von ca. 1000 Stück produzieren und in Schachteln überall hin verschicken, wo Außendrehs unter schwierigen Bedingungen stattfinden.“
Und die Bedingungen hier waren schwierig. Es mangelte uns an nichts, aber Dakar war eine ziemlich unübersichtliche Stadt, in der man sich auf nichts verlassen konnte. Die Jungs vom senegalesischen Cola-Abfüller zum Beispiel waren eine hirnweiche Bande, von deren Ortskundigkeit wir herzlich wenig hatten. Wann immer wir etwas brauchten, rannten sie nicht los und holten es, sondern stritten zunächst, wessen Verwandtschaft das Geschäft vermittelt werden sollte und waren dann nicht bereit, den Weg der Besorgung auf sich zu nehmen.
Der Dienstleistungsgedanke schien in Afrika nicht sehr verbreitet zu sein. Und auch die Hintermannschaft unseres Produktionsabenteuers war reichlich dubios. Ich bekam nur bruchstückhaft mit, wie die Vielzahl an Verantwortlichen seitens der SOBOA ihre Verantwortung nur dann innezuhaben schien, wenn sich damit persönliche Vorteile erzielen ließen, und wie sich die klaren Strukturen, die Cola auch in diesen Teil der Welt gebracht zu haben glaubte, in diffuse Delegierungspirouetten auflösten, sobald man eine verbindliche Zusage benötigte.
Das Härteste aber war Kurt. Hin und wieder zu verhindern, dass ihn irgendjemand in seiner eigenen Scheiße erstickte, war noch das geringste Problem. Das wirkliche Übel war: Kurt war ein Arschloch. Er zwang dich, seinen Job zu machen, indem er ihn selbst nicht machte, und wenn dir dann was danebenging, ließ er dich hängen. Angeblich wurde seinetwegen mal ein Produktionsassi zu zwei Jahren verknackt und hat sich deswegen umgebracht. Also musste Karin hier ohne Rückendeckung den gesamten Laden schmeißen und hatte nebenbei den Schnitt so organisiert, dass die Archivbilder der WM- Qualifikation bereits geschnitten bei Image Afrique
lagen und ein Vertrag diese Leute verpflichtete, das aktuelle Material, das ich ihnen morgen bringen würde, innerhalb von zwei Stunden in den Beitrag einzuarbeiten, die Sache zu mischen und sendefähig zu einer improvisierten Abnahme in unser Hotel zu bringen. Falls die Ausstrahlung durch Verschulden der lokalen Produktionsfirma nicht zustande kam, war der Gerichtsstand für die Schadenersatzverhandlung das Handelsgericht Berlin, wo Kurts Anwalt saß. Vor so etwas habe ich Respekt.
In erster Linie, weil ich es mir nicht erklären kann. Karin war genau wie ich das erste Mal in Dakar und während ich hier nicht einmal eine Busstation hätte finden können, fixierte sie heikle Verträge und zog Leute über den Tisch. Außerdem hatte sie, wie viele kleine Frauen, eine wirklich anregende Figur.
Aber das war nicht mein Thema. Kurt beschlief sie. Und ich, ich beschlief schließlich Susanne. Und zwar nach dreimonatiger Pause ab morgen wieder. Darauf freute ich mich.
Susanne. Kurt mochte der Welt seinen Gewinn abjagen, indem er über Irrsinnsdrehs wie diesen seinen Ruf festigte, überall auf der Welt alles auf Sendung bringen zu können. Wahrscheinlich hatte er diesen Job fixiert, als er besoffen mit den Freunden seiner Frau in einem piekfeinen Investors' Club herumgehangen war und lauthals über die lächerlichsten Möglichkeiten, Fernsehen zu machen, sinniert hatte. Bis ihm jemand einen TV-Dreh in Dakar angeboten hatte, wo die Bimbos die Steckdosen verklebten, damit der Strom nicht auslaufen konnte - huahaha!
Und wahrscheinlich hatte Kurt dann hervorgerülpst, dass er auch dort mit jedem Mist tagesaktuell auf Sendung sein würde, sogar wenn jeder vollgeschissene Ü-Wagen Afrikas gerade die Rallye übertrug. Und dann hatte durch Zufall Henning von der Geschichte gehört und ich hatte einen Gratisflug nach Dakar in der Tasche. Plus Gage und Spesen.
Vielleicht war das nicht die Herrenart, aber auf diese Weise bekam ich von der Welt, was ich brauchte.
Und den Flug nach Dakar brauchte ich, weil Susanne bereits seit drei Monaten in dieser Stadt
war und keine Anstalten machte zurückzukommen. Also musste wohl was dran sein, an dieser Stadt. Nach zwei Tagen hier fragte ich mich allerdings noch immer, was das sein mochte.
Dieser Frage war ich in den letzten drei Stunden nachgegangen. Ich hatte die Optiken gereinigt und dem Sand bis in die hintersten Gewinde unserer Kamera nachgestöbert. Und mit jedem Gedanken an Susanne, die hier seit drei Monaten lebte, hatte dunkler Groll die automatisierten Handgriffe der Kamerapflege verlangsamt und ins Stocken gebracht. Als Kameraassi bin ich schon ein bisschen herumgekommen und ich habe einige Städte gesehen, in denen ich es mühelos drei Monate lang ausgehalten hätte. Dakar gehörte nicht dazu. Dakar war hässlich, laut und heiß und selbst Susanne konnte sich nicht ernsthaft in diese Stadt verliebt haben. Ich setzte das Objektiv wieder auf und dachte über all die Männer nach, die ich in den letzten zwei Tagen gesehen hatte. Kein Wunder, dass sogar die alte Nazizicke Riefenstahl nach Afrika gefahren war, um wirklich heroische Männer zu knipsen.
Susanne war allerdings das exakte Gegenteil einer alten Nazizicke, nur hätte ich mich entschieden besser gefühlt, wäre sie gepanzert mit rassistischem
Dünkel nach Afrika gereist. Aber sie war offen und locker und sexy und sie liebte große, schlanke Typen. Ich bin ein großer, schlanker Typ. Auf dem Foto, das sie mir ganz am Anfang unserer Beziehung mürrisch aus der Hand gerissen hatte, nachdem es mir aus einem ihrer Bücher entgegengetrudelt war, war ein großer, schlanker Typ zu sehen gewesen. Und wann immer sie jemanden so angesehen hatte, dass ich mich darüber hatte ärgern müssen, war es ein großer, schlanker Typ gewesen. Vielleicht war ja der ideale Mann im Senegal ein buckliger, linkischer Fettsack mit O-Beinen, der Durchschnittstyp auf der Straße jedenfalls war groß und schlank und sah verdammt geschmeidig aus in seiner schwarzen Haut.
Henning hatte mich einmal gefragt, ob ich nicht hin und wieder die Krise bekam, wenn meine Frau – Henning sagte das so – ständig unterwegs war. Und nicht vielleicht für ein Wochenende: Forschungsprojekt hier, Studienreise da, dazwischen mal ein Auslandssemester und jetzt eben Diplomarbeit in Afrika.
Wenn man Sorgen hatte, war es bestimmt blöd, Henning darüber zu informieren, aber es war nicht nur gelogen, als ich ihm sagte, dass ich es spannend
fand, den Menschen, mit dem ich seit vier Jahren zusammen war, immer wieder neu kennenzulernen. Außerdem, was sollte ich sagen? Mein Job war auch nicht gerade nine-to-five.
Henning: „Ich meine, glaubst du, dass sie dir treu ist?“
Na ja. Die Treue.
„Wenn sie mir so treu ist wie ich ihr, gibt es genug zu streiten, aber keinen Grund, die Beziehung zu canceln.“ Soweit zumindest die Antwort für Henning.
Als die Kamera fertig war, ich sprang unter die Dusche, schnappte mir ein Säckchen gesalzener Erdnüsse und spülte sie mit einem Bier aus der Minibar hinunter. Ich hatte keinen Grund mich aufzuregen. Susanne schrieb hier ihre Diplomarbeit über Agrotourismus in Entwicklungsländern oder was weiß ich und es war nicht das erste Mal in unserer Beziehung, dass sie ein paar Monate weg war.
Im letzten Jahr hatte sich einiges an Gewohnheit in unsere Beziehung geschlichen und vielleicht hatte diese Trennung mehr genutzt als geschadet.
Meine Arbeit war morgen Nachmittag erledigt und wenn mit dem administrativen Kram alles glatt lief, konnten wir Freitagnacht Wiedersehen feiern.
Als kleine Überraschung hatte ich mit Karin ausverhandelt, dass unser Geländewagen nach dem Dreh auf meinen Namen umgeschrieben wurde; wegen der Firmenkonditionen. Susanne und ich konnten also in meinen zwei Urlaubswochen gepflegt durch den Senegal cruisen und weiße Flecken auf unserer Landkarte tilgen.
Für Susanne wäre unser Trip wohl so eine Art Feldforschungsreise, aber mir war das egal: Von mir aus konnte sie jeden Stammesältesten auf unserem Weg befragen, während ich im Schatten lümmelte und die Aussicht genoss.
Ich freute mich auf sie. Wirklich.
Also leerte ich mein Bier und rief sie an.
Trotz meiner Freude und all der Vertrautheit dachte ich im ersten Moment, ich hätte Dr. Quinn, die Ärztin aus Leidenschaft, am Apparat. Es war nicht so leicht. Drei Monate lang hatten wir einander hauptsächlich in Gestalt kitschiger short messages und informeller Mails gehabt, da ist ein echtes Gespräch ein bisschen – echt. Trotzdem bemühte ich mich, ganz locker zu sein, plauderte los, schilderte – nicht ganz wahrheitsgemäß – meine Eindrücke und lauschte auf die Geräusche im Hintergrund. Susanne war im Auto unterwegs, wie es schien. Als mir nichts mehr einfiel, lud ich sie kurzerhand zum Essen in unser Teranga Hotel ein, was sie rundheraus ablehnte. Sie mochte Dakar Ville nicht so und wollte mir lieber zeigen, wie diese Stadt wirklich war. Ansonsten war sie gerade mit einem Freund unterwegs, um sich eine Frauenwerkstatt in der Nähe von Rufisque anzusehen. Der Freund ließ mich mit dunkler, rauer Stimme grüßen, als ich mich nach ihm erkundigte. Ich wurde ein bisschen störrisch, fand, dass es wesentlich einfacher war, wenn sie zu mir kam, immerhin kannte ich mich kaum aus in Dakar, und wenn die Nachbarschaft hier fein genug war für den Präsidenten, warum
sollte sie nicht auch uns konvenieren? Es sollte ein Witz sein, dennoch klang Susannes Antwort gereizt: Den Präsidenten der Republik Senegal als fein zu bezeichnen, könne nur jemandem einfallen, der keine Ahnung von den Verhältnissen hier hatte – sie könne mir das gerne mal in Ruhe erklären, überhaupt gäbe es einiges zu besprechen.
Offenbar hatte es wenig Sinn, mit ihr zu diskutieren. Sie war in kämpferischer Stimmung und so ließ ich mir die Adresse des Lokals geben, in dem sie gedachte, mich in die Geheimnisse Afrikas einzuweihen und überhaupt einiges mit mir zu besprechen. Es lag in einem Stadtteil, der Medina hieß und vor dem uns Karin vor Drehbeginn in einem Mail über die Dos and Don'ts im Senegal gewarnt hatte.
Auch unmittelbar nachdem ich aufgelegt hatte, war ich mir nicht sicher, was Susanne eigentlich gesagt hatte. Ihre Stimme hatte fremd geklungen, als hätte sie einen leichten Akzent, im Hintergrund hatte ich Verkehrslärm und auch immer wieder die dunkle, tiefe Stimme ihres Freundes hören können. Sicher war ich mir nur, dass Susanne gesagt hatte, sie hätte „überhaupt einiges mit mir zu besprechen“. Susanne konnte sehr pragmatisch sein und wenn ihr etwas wichtig war, wenn sie zum Beispiel eine Frauenwerkstatt besichtigen wollte, sagte sie eher „Ich muss überhaupt einiges mit dir besprechen“ als zum Beispiel „Ich liebe dich“. Immerhin hatte ich auch nicht „Ich liebe dich“ gesagt. Aber auch nicht „Ich muss überhaupt einiges mit dir besprechen“. Und ich war auch nicht gerade mit einer Freundin unterwegs. Ich saß allein in meinen frischen Unterhosen am Bett, mein Telefon lag neben mir und aus der Klimaanlage sickerte kühle, feuchte Luft. Ich ging hinüber zum Kühlschrank und schnappte mir ein zweites Bier.
Ist ein „Ich-muss-überhaupt-einiges-mit-dir- besprechen“ nicht eigentlich ein „Ich-muss-mit- dir-reden“? Der Teppich unter meinen nackten
Zehen fühlte sich nach Fußpilz an. Weit hinten in meinem Kopf sang Joe Cocker „What would you do if I sang out of tune ...“ und Kevin Arnold brachte mir mit seinem Fahrrad genau jenen Teil des Lebens vorbei, der nie besser wurde. Wie ein pickeliger Teenager analysierte ich jeden Atemzug unseres Gesprächs und war mir einfach nicht sicher: Wollte mich mein Susanne-Stern abservieren oder hatte ich ein Nachmittagsbier zu viel. Ich ging noch mal unter die Dusche, putzte mir die Zähne und versuchte, den Rest des Abends zu verbringen. Dazu klingelte ich zunächst bei Henning rein und der meinte, er hätte gerade den Blues, eine liebeskranke Flasche wie ich wäre also genau die richtige Gesellschaft für ihn.
Henning saß in seiner Unterhose auf dem Bett, als ich hereinkam. Das war an sich schon keine gute Sache. Henning war dicklich und käsig und seine Beine waren das Zuhause von wenigen borstigen Haaren und einer beträchtlichen Anzahl von Mitessern. Darüber hinaus war er deutlich betrunkener als ich. Er brauchte kein Wort zu sagen, ich sah es an seinen Augen. Seit ich ihn kannte, faszinierten mich Hennings Augen und wann immer ich mit ihm unterwegs war, begann ein kleiner, aber sehr aufmerksamer Teil von mir, diese Augen sorgenvoll zu mustern. Henning war blass, schwarzhaarig und hatte hellblaue, ungesund wässrige Augen, die in ihren Höhlen zu schwimmen schienen. Wenn Henning sich einem Menschen zuwandte, über den er etwas wissen oder den er einfach nur genau ansehen wollte, schwappten seine Augen ein winziges Stück aus seinem Kopf heraus und reckten sich diesem Menschen einen kurzen, äußerst verletzlichen Moment lang entgegen. Dann verhärtete sich Hennings Gesicht und er fraß mit seiner Kamera alles auf, was seine molluskenhaften Augen gesehen hatten. Ohne seine Kamera neigte Henning dazu, dümmlich zu glotzen, was ihm eher
bescheidene Erfolge bei den Frauen eintrug. Die wenigen, die fanden, dass er mit seinen treuherzigen Kuhaugen sehr süß war, gefielen Henning in der Regel nicht und die anderen hielten lächelnd immer genug Abstand, dass er sie nicht berühren konnte. Also lebte Henning als unbegehrter Single und ich kannte mit großer Wahrscheinlichkeit niemanden, der soviel onanierte wie er. Ich war an seine sexuelle Unausgeglichenheit mehr als gewöhnt und hätte schon in meinem Zimmer wissen müssen, dass Henning an fieberhafter Geilheit litt, seit wir in Dakar angekommen waren. Und tatsächlich raunzte er mir vor, dass er den ganzen Tag einen Ständer hatte wegen der afrikanischen Frauen – eine glänzende Hilfe in meiner Lage.
Henning war mein Partner, ein guter Kameramann und ein netter Kerl. Und ich war ein guter Kameraassistent, auch ein netter Kerl und ich war wirklich auch Hennings Freund. Aber seine Abhandlungen über seinen Stuhlgang, seine Erzählungen über die Trauer, die er empfand, wenn sein salziger Samen auf kahle Badezimmerkacheln klatschte, anstatt auf mächtige Brüste niederzuregnen und seine Art, einen zu zwicken und albern zu kichern, während er einem all das erzählte, machten Henning nicht
gerade zu meinem liebsten Saufkumpan. Er zwitscherte Gin Tonics und machte keinerlei Anstalten, sich mehr anzuziehen, als seine labbrigen Unterhosen. Also schlug ich vor, in eine der Bars zu gehen, wo wir vielleicht eine dieser sagenhaften Frauen kennenlernen konnten. Obwohl Henning ganz bestimmt am glücklichsten war, wenn er einfach nur wichsen konnte, war das die verlässlichste Methode, ihn zum Aufbruch zu bewegen.
Als er den Gang entlang wankte, seine Adjustierung ein Desaster, ungeduscht und in einem fort von schwarzen, weiblichen Genitalien labernd, war er mir peinlich.
Dennoch zog ich seine Gesellschaft jederzeit der von Kurt vor. Und an Alleinsein war ohnehin nicht zu denken.
In der Lobby angekommen konnten wir uns für keine der drei Bars entscheiden und Henning latschte ein Weilchen ziellos in der Empfangshalle umher. Schließlich meinte er, er habe Hunger.
Also stapften wir über die Holzbrücke unter meinem Zimmerfenster und ich war überrascht, dass die Sonne im Winter auch in Afrika so früh unterging. Die felsige Küste war in abendlich weiches, goldenes Licht getaucht, am Ende der Brücke wand sich eine Treppe zum Pool hinunter, der etwa 10 Meter über dem Meer in ein künstliches Plateau eingelassen war; man musste hier ziemlich gut aussehen, um nicht gegen den Blick auf den Atlantik abzustinken, von den letzten Gästen an der Poolbar einmal ganz abgesehen. Trotz Schönheitspflicht herrschte eine durchaus entspannte Atmosphäre am piscine und Henning und ich wurden einfach ausgeblendet. Uns hafteten keinerlei Merkmale an, die uns von Steinen, Luft oder unvermeidlichen Begleit- erscheinungen unterschieden hätten. Ohne Blicke auf uns zu ziehen, wandelten wir am Pool entlang und da Henning der stärker Ignorierte von uns beiden war, drückte er sich seine Sonnenbrille auf die Nase. Schutzreflex.
Leider konnte ich deshalb nicht sehen, wie sich seine Augen dem Restaurant selbst entgegenstülpten. Eine Natursteintreppe verband den coolen Kosmos um den blauen Pool mit der fernen gastronomischen Galaxie im Schatten umsichtig arrangierter, tropischer Pflanzen. Le Niane, so der Name dieser ans Meer geschmiegten Verschwendung, war sehr darauf bedacht, seine Gäste wissen zu lassen, dass sie sich nun in den Schoß des unbezahlbaren Luxus begaben. Die Preise waren hoch, das dornige Wuchern der Sahelvegetation war in strenge Beete gebannt und jede Fläche ein gekacheltes Bollwerk gegen das Chaos von Dakar. Dennoch knirschte Sand unter meinen Schuhsohlen, als ich mit meinem Zimmerschlüssel vor der steinernen Miene des französischen Restaurantmanagers klimperte, der daraufhin aus dem Mundwinkel einen schwarzen Kellner herbeizischte, uns an einen Tisch zu führen.
Das war der Moment, in dem Kurt bewies, dass eine hermetisch noble Attitüde niemals ausreicht, um wirklich selbstherrliche Arschlöcher in Schach zu halten.
„Das Geschmeiß und sein Assistent naht sich!“,
grölte er und um Karins demonstrativer Ungerührtheit doch noch einen Stich zu versetzen, fügte er auf Französisch hinzu: „Henning, du alter Wichser! Ist es dir schon langweilig, dass dir immer nur dein hübscher Assi die Schärfe zieht!“
Henning tat das, was er abgesehen von Kadrieren und Wichsen am besten konnte und rülpste. Wir waren offenbar vom Film.
„Setzt euch doch“, meinte Karin. Ich glaube nicht, dass sie Empfindungen hat.
„Ihr Orschlöcher fressts doch sicher einen Hummer auf meine Kosten“, leitete Kurt unser freundliches Geplauder ein.
„Hummer derscheiß ich net.“
Das hatte ich Henning beigebracht.
„Und ich hätt lieber eine Flugente.“
In der ersten Runde waren wir gar nicht so schlecht und Karin lachte. Ihr Versuch, die Konversation in geordnetere Bahnen zu lenken, indem sie mir etwas über ihre letzte, sensationelle Erfahrung mit Flugente in der Südsteiermark erzählte, versiegte allerdings unter Kurts Rüpeleien.
„Ok, ihr Trottln,“ schnaufte er, „hauts euch sonst was eine.“
Ich ließ mir Cigale de Mer angelegen sein, Henning geruhte, gegrillten Thioff zu speisen, und Kurt machte Konversation.
„Horch Henning, du kennst dich doch mit diesem Handheld-Schaß aus.“
Männer in der Medienbranche lieben technischen Klimbim, mit dem sie sich für gewöhnlich nicht auskennen, und halten es für total kollegial, andere damit zu behelligen, indem sie sie um Rat fragten. In Wahrheit liegt dieser geheuchelten Naivität der Technik gegenüber eine zwingende hierarchische Logik zugrunde: Kurt ist Produzent, also der Knabe, der am besten Bescheid weiß, sich aber auch nicht mit jedem fieseligen Detail auskennen kann. Henning ist Kameramann, also Künstler, und keinesfalls erdig genug, um die technischen Details eines End-User-Geräts behalten zu können. Dafür gab es mich.
Und natürlich: „Ich eigentlich nicht. Aber der Chi ist da ordentlich fit.“
Danke Henning.
„Ah so? Na, wennst eh was weißt, wieso bist dann Assi?“
„Ich leg mir was auf die Seite, bis ich groß bin und beim Mediamarkt arbeiten kann.“
Zum zweiten Mal Karin: Sie lachte und rettete mich. Kurt lachte auch ein bisschen und Henning kicherte albern.
„Solangst noch Zeit hast vor der großen Karriere,
kannst mir vielleicht eins erklären: Ich hab so einen Portabel-Computer und der ist mit meiner Organizer-Software kompatibel. Das heißt, wenn ich unterwegs bin und mir vom Portable aus einen Termin heimschick, trägt sich der automatisch in meine Agenda ein und ich kenn mich aus. Nur, wie schick ich des?“
„Wahrscheinlich hat dein Portable einen PCMCIA-Slot. Da steckst ein Card Phone oder eine PC-Steckkarte rein, die du mit dem Mobiltelefon verbinden kannst. Dann wählst dich für ein Schweinegeld ins Internet und schickst dir den Termin als .vcal-Datei.“
„Super, beim Einestecken bin i guat.“ Niemand sagte etwas, Karin schaute kurz ihre Fingernägel an. Ich konnte ihr auch nicht helfen. „Und wenn ich keine solche geschissene Karte hab?“
„Dann geht nix.“
„Das ist ein Orschklumpert! Wenn ich einen Film verkauf, den man sich selber kolorieren muss, tragen's mich auch scheißen. Ich würd gern einmal etwas kaufen, das ich nur aus der Schachtel nehmen muss und es spielt, was draufsteht.“
„Ja, dann rufst du eben deine Sektretöse im Büro an und sagst ihr, sie soll dir was in den Kalender schreiben.“
„Super Henning, und für das brauch ich einen
Personal Organizer. Sauf an Schnaps mit mir, du Bauernschädel.“
Das Vorspiel war beendet. Kurt orderte eine Flasche Wild Turkey – in den 70er Jahren war das komplett hip, hatte mir Henning einmal erklärt – und Karin erwies sich mit dem Vorschlag, die Drinks an der Bar zu nehmen, während wir auf das Essen warteten, als glänzende Strategin.
Der Whiskey veränderte die Stimmung. Bisher hatte jeder von uns ohne Ehrgeiz oder nennenswerte Absichten seinen verspäteten Nachmittagsdusel ergänzt, aber der Schnaps machte unser Unterfangen zu einer ernsten Angelegenheit. Laden war laut Dispo um 07:30, trotzdem schenkte Kurt ein als hätten wir es schon hinter uns. Ich war auf der Hut.
Im Hintergrund servierte ein junger Kellner mit unnahbarer Geste eine Speise in einer Art Pokal an unseren Tisch und fand ihn leer. Diese kleine Überraschung blies die gastgewerbliche Haltung von seinen Schultern und ließ einen ratlosen Burschen mit einem lächerlichen Gericht vor einem unnatürlich weißen Tisch zurück. Selbst an das Elend der Dienstleisterei gewöhnt gab ich ihm ein Zeichen und er schleppte den Teranga Shrimp- Cocktail mit breitem Grinsen zu uns an die Bar. Karin hatte ihn bestellt. Kurt berichtete ausschweifend von diversen Afrika-Drehs, Henning assistierte mit Phantastereien über eine Teilnahme an der Rallye Paris-Dakar und Karin pickte in ihrem Salat. Das Thema Autorennsport hielt ein Weilchen und ich gab meine Geschichte vom Kart Racing zum
Besten. Im Groben ging es in der Geschichte darum, dass ich vor Jahren in der Haarnadel auf der Wurz-Bahn ungebremst geradeaus gefahren und aus dem Kart geflogen bin. Eine gute Geschichte: Viel Fachsimpelei, viele Witze über Wurz und jeder konnte ein bisschen locker plaudern. Dann war die Strategin Karin mit ihrem Salat fertig, flüsterte Kurt eine Kleinigkeit und musste mal eben auf ihr Zimmer. Die Dispo ließ sie uns da; und die Flasche; und den Ständer in Hennings Hose; und natürlich Kurt. Keine gute Geschichte. Was vor uns lag, waren die Ingredienzien einer Geschichte, die erst eine werden musste. Etwas, das wir nun schmerzlich durchleben würden, bevor es eine Geschichte wurde, die man vielleicht das nächste Mal erzählen konnte, in der Hoffnung, damit eine Katastrophe abzuwenden.
Karin war noch nicht am Fuß der schmucken Natursteintreppe angelangt, die zum Pool hinauf führte, als Henning losschnaufte als hätte er die letzte halbe Stunde den Atem angehalten:
„Ich muss unbedingt ficken.“
Kurt johlte los. Den Mund voll Nüsschen brabbelte er heraus, wie sehr er Henning verstehen konnte – abschmieren wäre wichtig – in Afrika allerdings galt es auf diesem Gebiet vorsichtig zu sein. Denn: „In so ein Schoko-Erdbeer-Tascherl abdrücken ist immer ein bisserl ein Gesundheitsrisiko.“
Henning war der Appetit nicht zu verderben.
„Ich scheiß da jetzt drauf. Ich möchte eine pechschwarze Frau mit Riesentitten, die mir lang und breit einen von der Palme schüttelt.“
Kurt griff sich die Whiskey-Flasche und trampelte zurück zu unserem Tisch. In weiter Ferne hatte er einen Kellner mit Brochette de Lotte, gegrilltem Thioff und Cigale de Mer erspäht.
„Hör zu, du Trottel,“ meinte er etwas gereizt, „Thailand zum Beispiel ist sexmäßig sehr gut erschlossen. Wenn man nicht deppert ist, fängt man sich dort nicht einmal einen Tripper. Die haben inzwischen Qualitätsgummis und wissen auch, wie man die verwendet. Aber hier ist das alles eher halb privat. Und hochriskant.“
Ich hoffte, dass die Ankunft der Speisen und Kurts kleiner moralischer Exkurs Hennings Befindlichkeit dahin gehend stabilisiert hatten, dass er sich im Stillen dachte, „Selber machen ist auch was Feines“, und die Sache auf sich beruhen ließ. Aber Henning war in Fahrt.
„Ich halt das einfach nicht mehr aus. Seit ich hier angekommen bin, sehe ich nichts als feste Brüste und schwarze Haut und lange Beine und ... Scheiße, ich muss jetzt einfach ficken.“
Kurt wurde langsam böse. Er konnte es nicht leiden, wenn man seine Ratschläge ignorierte und ganz besonders wenig konnte er es leiden, wenn man ihm
sein Essen versaute, indem man ausgerechnet solche Ratschläge ignorierte, die er sich in erster Linie selbst gegeben hatte. Auch ihm standen die Eier in der Birne – genauer: Sie schwammen dort in Whiskey – und das war ein Zustand, in dem man sich nicht zu viele Gedanken an die afrikanischen Frauen erlauben sollte. Besonders, wenn man sie für ungesund hielt.
Die Frauen in Dakar hatten auch mich überrascht. Jede Zweite hier sah aus wie eine etwas handfeste, jedenfalls aber greifbare Version von Tyra Banks und es gab, so kam mir vor, enorm viele Frauen hier. Sie waren groß und schlank und selbstbewusst und musterten mich mit provokanten, lebenshungrigen Blicken. Ob sie Henning und Kurt auch so ansahen, wusste ich nicht, auf jeden Fall hatte die selbstsichere, attraktive Art, die viele von ihnen zur Schau stellten, Hennings sexuelle Schaltkreise völlig überhitzt und ihn in ein schweißhändiges Samenpaket verwandelt. Er jeierte vor sich hin, was er nicht alles wohin kleckern wollte, und sogar Kurts solarienverbrannter Lederschädel wurde langsam rot.
Mein Cigale de Mer war ausgezeichnet. Allerdings bestand das Tier zu knapp 1000 Prozent aus Eiweiß
und so ließ ich mich vom Thema mitreißen und teilte den anderen meine Meinung über die Frauen in Dakar mit. Meinen Satz von den greifbaren Tyra Banks-Versionen hatte ich noch nicht einmal zu Ende gebracht, als Kurt explodierte.
„Ok, ihr ranzgeilen Affenpimmel, dann werden wir hier Nutten ranschaffen!“
Hennings Augen hatten einen fiebrigen Glanz und Kurts Drohung war für ihn die größte aller Verheißungen.
„Danke bestens, ich seh morgen meine Susanne wieder.“
Es war mir peinlich, mein Privatleben in diese Geschichte reinzuschmuddeln, aber Kurt war Kurt und wenn ich hier rauskommen wollte, ohne in einen syphilitischen Harem geschubst zu werden, durfte ich nicht zimperlich sein. Kurt schnaubte verächtlich.
„Was ist mit dir Henning? Auch wichsen?“
Henning ignorierte alles: „Kennst du was hier? Ich meine, irgendein Puff?“
Hennings Verhältnis zu den Frauen war traurig. Im Grunde war er ein recht netter Kerl, aber die meisten Frauen finden eben einen netten Kerl ganz einfach unsexy. Und während alle anderen Kerls ihre Freundinnen hatten und ganz normale Perverse wurden, war der nette Kerl Henning auf die Nutten gekommen. Inzwischen war er pornosüchtig und nicht in der Lage, Sex als etwas anderes als eine an ihm vollzogene Dienstleistung zu verstehen. Trotzdem, am heutigen Abend war er sogar für seine Verhältnisse obsessiv und die krankhafte Leidenschaft, in die ihn sein einziger und reiner Wunsch trieb, hatte auch Kurt angesteckt. Also machten sie sich auf den Weg ins Puff. Zumindest dachten sie das. Kurt wankte auf die Bar zu wie eine böse Vorahnung und zog erste Erkundigungen ein. Der Barkeeper reagierte äußerst unwirsch und ich vermute, wir wären des Restaurants verwiesen worden, gäbe es nicht in Afrika eine ziemlich starke Tradition, die es schwarzen Menschen untersagte, weiße Menschen einfach hinauszuwerfen. Kurt kehrte an unseren Tisch zurück und grunzte verächtlich, dass der gelackte Neger den feinen Pinkel hatte raushängen
lassen und sich für derartige Auskünfte nicht zuständig fühlte. Wir ließen die Rechnung auf Kurts Zimmer schreiben und machten uns aus dem Staub.
Das Ganze war gewissermaßen peinlich und obwohl es dunkel war und sich der größte Teil unserer Konversation auf Deutsch abgespielt hatte, nahm ich an, dass jetzt jeder im Restaurant über unser Ansinnen und unsere ganz spezielle Art von Stil im Bilde war.
Vielleicht hatte ich mit meiner Theorie über das Hinauswerfen von Weißen in Afrika auch unrecht, denn kaum hatten wir den inzwischen menschenleeren Pool erreicht, holte uns einer der Schwarzen aus dem Restaurant ein. Als ich sein respektloses „Pst! Pst!“ hörte, dachte ich, der Kerl wäre so etwas wie ein Restaurantdetektiv, der weißen Abschaum wie uns diskret darauf hinzuweisen hatte, dass wir uns künftiger Restaurantbesuche zu enthalten hätten. Unglücklicherweise lag die Sache anders. Das Vorhandensein von weißem Abschaum war weltweit eine der ganz wenigen verlässlichen Größen, weshalb man aller Orten dazu übergegangen war, das Unvermeidliche zur Umsatzsteigerung zu nutzen. Kurzum, der Schwarze erklärte uns ohne lange Umschweife, dass er uns verschaffen könnte, wonach wir suchten. Er wies allerdings darauf hin, dass im Falle einer Einigung eine Provision in der Höhe von 50.000 CFA zahlbar an ihn fällig wäre und dass die Mädchen, die er vertrat, Arrangements von der Dauer einer Woche bevorzugten. Bei adäquater Unterbringung selbstverständlich. Kurt setzte ihm in seiner Version
des Geschäftsfranzösischen auseinander, dass alles über 20.000 CFA Wucher wäre und wir lediglich eine Plombierung pro Person vorzunehmen gedachten, weshalb nicht einmal die Kosten für eine einzige Nächtigung anfallen würden.
Die Verhandlung wogte leise hin und her, keiner gab auch nur einen Zollbreit nach und schließlich wurde folgende Einigung erzielt: Der Hotelangestellte, er hatte sich als Omar vorgestellt, würde einen Bruder anrufen, der uns mit einem Taxi zu einem anderen Hotel bringen sollte, in dem zwei Zimmer für eine Nacht gebucht werden mussten – ich hatte Omar von Anfang an klar gemacht, dass er seine Bemühungen auf die Beschaffung zweier zu Plombierender beschränken konnte. Die Hotelzimmer lägen bei je 30.000 CFA, für die Mädchen wären weitere 30.000 zu bezahlen. Das wäre dann ein Arrangement für nur eine Nacht, die Buchung eines Hotelzimmers war in einem islamischen Land, in dem Gunstgewerblerinnen unter schwierigen Bedingungen arbeiten mussten, absolut unumgänglich. Henning war beinahe ohnmächtig vor Geilheit und ich war froh, dass ich nichts von Wert bei mir trug.
Wir schlenderten über die Holzbrücke davon und ich war mir sicher, dass Omar jedem von uns zum Abschied ein riesiges Schild mit der Aufschrift „Diese Penner wollen ins Puff!“ auf den Rücken geklebt hatte.
Ich fühlte mich nicht sehr wohl, wollte Henning aber nicht alleine lassen. Er war mein Freund, mein Kameramann, mein Partner und ich hätte es ungern gesehen, wenn man ihn morgen tot aus dem Hafenbecken von Dakar gefischt hätte. Wie es dazu kommen sollte und wie ich es – wenn – verhindert hätte, war mir allerdings unklar. Klar war mir nur, dass ich dabei sein würde.
Draußen ergab sich eine kurze Diskussion, da das Taxi doppelt so teuer war wie in Omars Darstellung. Wir einigten uns mit dem Fahrer auf einen Mittelwert von 7000 CFA und da es nicht mein Geld war, sondern Kurts, war es mir egal.
Wir verließen das Zentrum von Dakar und die Scheinwerfer unseres Taxis wirbelten vor uns eine Art Straße auf, an deren unscharfen Rändern das reine Leben pulsierte. Gruppen von bunt und prächtig gekleideten Menschen standen unter den Bäumen zusammen, auf kleinen transportablen Öfen wurde gegrillt, hier und da stand eine Imbissbude, an der Café ausgeschenkt wurde und im höhlenartigen, neonerleuchteten Inneren der Geschäfte spielten Menschen Karten, beschimpften einander oder lauschten dem Radio. Wohin man auch sah, gingen Händler, Kinder, Frauen, Radfahrer, Ziegen und Esel mitten im strömenden Verkehr irgendwelchen Beschäftigungen nach; es war, als rumpelten wir mit unserem Taxi mitten durch die Küche, das Wohnzimmer und den Magen von Dakar. Als Soundtrack unserer Fahrt knatterte jene unerträgliche Musik aus dem Radio, die Susanne mir als Mbalax angekündigt hatte.
Nach einer gut halbstündigen Fahrt hielt der Fahrer in einer dunklen Gasse irgendwo in Dakar und meinte, wir wären da. Das Haus, vor dem wir standen, war einstöckig, kein Schild wies darauf hin, dass es sich um ein Hotel handelte. Eine bröselige Holztür wurde geöffnet und ein Schwarzer namens Keba bat uns in einen kahlen Raum, der von einer nackten Neonröhre grell erleuchtet war. Die Wände waren mit gelblicher Dispersion gestrichen, auf braunen wackeligen Stühlen saßen drei weitere Männer. In einer Ecke wurde über einen aus Kisten und Brettern gezimmerten Tresen Bier und Tetrapak-Wein ausgeschenkt. Auf einem Regalbrett stand eine Flasche Gin ‚bottled for the use in Senegal’. Von hier aus war es bestimmt kein langer Weg ins Hafenbecken.
Diesmal war es Henning, der die Initiative ergriff.
„Wir haben eine Vereinbarung mit einem Ihrer Bekannten getroffen. Sind sie informiert?“
Sein Französisch klang lächerlich und mir schien, als wäre ich in eine Szene geraten, die bei der Produktion von Casablanca völlig zurecht am Boden des Schneideraumes gelandet war.
„Omar hat mir erzählt, dass Sie ein Arrangement für
zwei Personen und je eine Nacht treffen wollen.“
„Wir haben bereits ein Arrangement für eine Nacht getroffen!“ Hennings Nerven lagen blank. „Wo sind die Mädchen, wo sind die Zimmer? Was soll das Ganze hier?“
„Pardon, wir sind nicht das Moulin Rouge. Das hier ist ein islamisches Land. Was Sie wünschen, ist illegal.“
„Aber Sie werden ganz fein daran verdienen, wenn alles klappt. Also, was wird jetzt?“ Kurt hatte vier ordentliche Gläser Gin besorgt und gab den unumschränkten Herrn der Lage.
„Geben Sie mir ein Akonto von 120.000 CFA und ich werde Ihnen sehr reizende junge Damen bekannt machen.“
„Ein Akonto von 120.000? Das ist der ganze Preis!“
„Für eine Person.“
„Scheißdreck, eine Person! 30.000 für das Zimmer, 30.000 für die Frau. Das ist für eine Person!“ Der Herr der Lage war ziemlich laut geworden, Keba und seine Freunde sahen betreten zu Boden. „Was ist jetzt?“
„Geben Sie mir 90.000 für eine Person. Ich möchte hier keine Probleme haben.“
„Was ist Henning? Lässt du dir das gefallen? Alles kostet doppelt so viel wie ausgemacht und ich habe
hier noch nicht einmal eine Fotze gesehen.“
„Wir geben ihm 10.000 und sehen uns mal die Mädels an.“
Langsam hatte ich den Eindruck, dass Henning der wahre Experte für Bordellbesuche in Ländern der Dritten Welt war. Keba nahm schließlich 20.000 und wir setzten uns, tranken ein Bier und warteten auf die Mädels. Das Hafenbecken hatte ich längst vergessen, dafür pochte Kurts Satz „Halb privat und hochriskant“ an mein inneres Ohr. Wir hatten uns in einem verschwörerischen Dreierkreis hingesetzt und ignorierten alles um uns. Jetzt, da es keinen Handlungsbedarf gab, wurde die Stimmung tatsächlich schlecht. Henning versank in präkoitalen Phantasien, Kurt mühte sich redlich, souverän zu wirken und die Situation mit gelassener Heiterkeit zu genießen und ich dachte an morgen. An das Aufstehen, den Brand, die Hitze, die Arbeit. Und an Susanne.
Ich war nicht prüde und hätte kein lügendetektorsicheres Treuegelöbnis ablegen können, aber hier zu sein, erschien mir gerade im Hinblick auf unsere angeschlagene Beziehung falsch. Susanne war bestimmt keine spät geborene Schwanz-ab-Feministin, aber sie hielt Männer wie Kurt und Henning für Abschaum. Jetzt an Susanne zu denken, warf bei dieser Sache hier überhaupt
einen Haufen problematischer Seiten auf. Es war moralisch und politisch unkorrekt, wir trampelten auf den Rechten uns unbekannter Frauen herum und die globale Unterwerfung unter die Macht des Kapitals wurde von Typen wie uns bis in den privatesten Bereich geschleppt.
So würde Susanne das sehen. Und sie hatte sogar recht. Wir saßen hier im Vorzimmer irgendwelcher Leute und warteten – wie es aussah – auf deren Schwestern, die bereitwillig am schmierigsten aller Altäre geopfert werden sollten.
Das war übel, nur hatte ich nicht Susannes Talent, mich über diese Dinge aufzuregen. Für mich war das kein System, sondern eine private Tragödie, die ich nicht auslöste, sondern die ich mit durchlitt. Ich war mit Henning auch schon in Wien, Prag, Szombathely, Dortmund und sonst wo durch die Puffs gezogen auf der Suche nach Nutten mit großen Titten. Henning hatte immer versucht, das Ganze wie einen Riesenspaß aussehen zu lassen, aber es war immer ein Drama gewesen. Zu den Nutten zu gehen, war für ihn die einzige Möglichkeit, so etwas wie Befriedigung zu erleben. Ich fand es erbärmlich, aber es war mir egal.
Nur eins: Wo wir auch gewesen waren, wir waren immer an Profis geraten. Wir waren in Bordelle spaziert, die ganz genau für
Jungs wie uns gebaut worden waren, und es hatte immer nach Parfum, Rauch, Desinfektionsmittel, Alkohol und Testosteron gerochen – einer unvergleichlichen, über alle Grenzen hinweg gleichartigen Mischung. Und die Frauen, die Henning und mich gemustert, uns ihre Künstlernamen genannt und sich erkundigt hatten, ob wir nicht „was Schönes machen“ wollten, waren immer hartgesottene Berufsabreiberinnen gewesen. Aber hier – das war sogar mir klar – war das anders. Keine professionelle Verruchtheit, kein klar definiertes Spielfeld der schlechten Manieren täuschte über die Würdelosigkeit unseres Unterfangens hinweg. Hier waren ganz normale Männer zusammengekommen, um uns mit ganz normalen Frauen schlafen zu lassen. Frauen, die niemals auf die Idee gekommen wären, einen Kurt oder den kuhäugigen Henning auf sich herumturnen zu lassen. Wir nahmen hier kein Angebot in Anspruch. Wir zwangen den Leuten unsere Nachfrage auf.
Gerade als ich mich erheben und unter dem Vorwand, mich zu langweilen, meine Rückkehr ins Hotel ankündigen wollte, kamen die Frauen. Ich weiß nicht, ob man es
erkennen kann, vielleicht wollte ich es einfach
erkennen, aber sie waren Nutten. Abgefeimt, gelangweilt, lächelnd und behaftet mit dem Duft der gewerblichen Gunst. Wir waren keine Sendboten des Teufels. Die Verderbtheit und der Tripper waren schon lange vor uns da gewesen. Wir waren ganz einfach jämmerliche weiße Stecher und man bereicherte sich an uns.
Ich fragte Henning, ob er Geld für das Taxi hatte, aber er meinte nur, er wäre ohnehin gleich wieder da. Ich sollte warten.
Warum auch nicht? Ich hatte immer gewartet, es hatte mir nie etwas ausgemacht. Warum sollte das heute anders sein? Man konnte das nicht zwischen Tür und Angel eines Puffs in Dakar diskutieren. Man konnte das gar nicht diskutieren. Am besten war, man ging nirgends hin, wo man nichts zu tun hatte.
Also schwieg ich und ging hinüber zum Behelfstresen. Dort bestellte ich noch ein Bier. La Gazelle. Hergestellt von derselben Firma, die auch als local bottler für Coca-Cola auftrat und unser Ansprechpartner hier war.
Henning würde nicht lange brauchen und Kurt war mir egal. Wenn er den Dreh morgen schmiss, war das sein Problem. Das würde nicht mich die Gage kosten. Wenn Henning etwas verbockte, traf es auch mich. Wir waren als Team gebucht. Eigentlich war das der Grund, warum ich hier war.
Den Weg ins Teranga hatten wir schweigend zurückgelegt mit nur einer Unterbrechung, als Henning sich hatte übergeben müssen.
Vor vielen Jahren habe ich meinen Zivildienst in einem Geriatriezentrum geleistet, wo ich mit der Betreuung alter, kranker Menschen beschäftigt gewesen war. Handwerklich war es also kein Problem, Henning zu versorgen und ins Bett zu bringen. Aber es hatte mir schon mit echten alten Kranken nicht sehr gefallen.
In Hennings Zimmer stand ich noch einen Augenblick neben seinem Bett und sah ihn mir an, meinen Partner. Sein Mund stand offen, das schwarze Haar klebte auf seiner verschwitzten Stirn. Er schnarchte ohne Bewusstsein.
„Das muss ein cooles Leben sein.“
Das hörte ich oft, wenn ich über meinen Beruf sprach. Und klar: Ich kam viel herum, hatte meine eigene Firma und die Medienbranche – da kann man was erleben. Trotzdem war es nicht so, dass ich mich nie nach einem geregelten Leben gesehnt hätte. Nach einem Beruf, den man nach 18 Uhr vergessen konnte. Wo man seine Kollegen nur nach der Weihnachtsfeier nach Hause tragen musste. Oder sie einfach liegen ließ. Die Trennung des Beruflichen und des Privaten deprimierte die meisten Menschen und trieb sie in die Tabletten- sucht oder machte sie zu notorischen Witzeerzählern. Aber von der Ferne, von Hennings Bett im Teranga Hotel Dakar aus gesehen, sah es aus wie Luxus. Ich griff mir Hennings Magnetstreifenschlüssel und ging schlafen. Es würde genug Kraft kosten, morgen selbst aus den Federn zu kommen, da wollte ich nicht auch noch Zeit damit verlieren, Henning durch die geschlossene Tür wecken zu müssen. „Henning!“ – klopf, klopf – „Henning, es ist gleich sieben, wir müssen los ... verdammt, HENNING!“ Darauf hatte ich keinen Bock.
Nach fünf Minuten bleiernen Schlafes tutete mein Wecker. Das zweitunangenehmste Geräusch direkt nach dem Bohrer beim Zahnarzt. Ich stieß meine Beine aus dem Bett und setzte mich auf. Kein Zweifel: Mir ging es scheiße und die Arbeit wieder los. Ich wusch mein Gesicht, ohne es im Spiegel anzusehen, putzte meine Zähne, kramte die Dose mit Reinigungstüchern aus meiner Tasche und ging hinüber zu Henning, um ihn zu wecken.
Ich hatte mein Gesicht nicht gesehen und den Anblick, den Henning bot, hätte ich mir auch gerne erspart. Seine Augen waren starr und sahen aus, als hätte man sie hart gekocht. Der Rest seines Gesichtes war formlos und verschwollen, das ganze Zimmer roch nach Alkohol und Sperma. Ich schickte Henning unter die Dusche, öffnete die Dose mit Reinigungstüchern und nahm die Patronenhülse heraus, die in dem dick gewickelten Nest aus Seifentüchern lag. Es war eine dieser albernen Messinghülsen, die anstelle einer Geschossspitze einen Schraubverschluss hatten.
Als ich ein pickeliger Schuljunge war, waren die Dinger in Wien der letzte Schrei gewesen und ich hatte mein Dope darin aufbewahrt.
Heute war ich Kameraassistent und aus der Patronenhülse rieselte Koks – die Medienbranche. Niemand sollte glauben, dass das etwas mit glamourösen Exzessen zu tun hatte. Das war hochriskante Notfallmedizin und wir brauchten sie.
Henning und ich hooverten die Patrone leer, ich schniefte wiederholt und drückte mir mit zurückgelegtem Kopf Daumen und Zeigefinger gegen die Nasenlöcher. Die wertvollen Krümel, die
ich so auffing, verrieb ich auf meinem Zahnfleisch und öffnete die Augen.
Scharfkantige Lichtflächen, daneben sattes Dunkel, Henning unsichtbar neben dem Fenster: Optisch war alles ziemlich am Limit, aber die Energie begann zu knistern. Sie bewegte meine Hände, sie sprach für mich, hielt meinen Kopf oben und ließ mich in die Welt starren, als wäre sie ein Gurkenglas. Ich würde durchhalten.
Um 07:29 waren wir beim Wagen. Karin sagte nichts. Kurt war auch da – durchgemacht. Wo wir gewesen wären?
„Henning ist abgestürzt.“
„Scheißdreck. Eine Scheißidee.“
„Los jetzt.“ Karin war stinksauer.
Die SOBOA-Jungs, der Tonmann, der Fahrer und Monsieur Dubos saßen bereits im Wagen, Mireille sah fertig aus. Wir trugen Sonnenbrillen, alles war ok. Nur Dakar war völlig außer Kontrolle: Farben, Lärm, Licht, Dreck – ich schloss die Augen. Die Fahrt vom Hotel zum Place de l'Independance dauerte keine fünf Minuten, die Sonne war noch nicht lange am Himmel und im Wagen war es kühl.
Draußen stand mir nach wenigen Schritten der Schweiß auf der Stirn. Mein Kreislauf war nicht ganz auf der Höhe, aber ich war die perfekte Assistentenmaschine.
„Totale auf die letzten Vorbereitungen. Kriegst du das, Henning?“
„Ich nehm das vom Wagendach.“
„Na fein. Speib dich nicht an da oben.“
„Konzentration, bitte!“, fauchte Karin. Sie setzte uns ganz schön zu. Sie wusste, wie man Druck macht und ohne meinen strahlenden Panzer aus Schnee hätte sie mich zerquetscht.
Ich maß gerade das Stativ am Dach unseres Wagens ein, als ich Kurt grinsen sah. Eine Reihe Zähne im Gesicht eines Riesenarschlochs, dem man gestern die Eier gemolken hatte wie selten zuvor. Daneben stand Karin, seine Setschlampe, wusste alles und kochte vor Wut. Henning und ich brüllten gleichzeitig los und Kurt schrie sein Gelächter hinaus wie die reinste Hyäne. Wir waren die Helden und Karin die Lusche! Wir waren im Puff gewesen – mitten in Afrika – und jetzt drehten wir einen Film!
So ist das Leben, wenn man ein Kerl ist! Scheiße, das würde ein Wahnsinnstag werden!
Wir filmten den Cola-Truck, wie er in Stellung ging, wir filmten die Fußballer und die CSA-Repräsentanten, wir filmten die Trommler, das Volk, die Promotoren – alles war nur für uns da und wir filmten alles nieder.
Monsieur Dubos brachte seine Moderation fehlerfrei durch und lud am Ende mit großer Geste alle Menschen in der großen Welt von Coca-Cola ein, diesen großen Tag mit dem Senegal zu teilen.
Der Platz de l'Independance war auch groß und als die Lastwagen der Cola-Prozession ihre Dieselwolken ausbliesen, war er restlos voll von Menschen. Henning und ich preschten los wie die Kampfhunde und holten Close-ups und Actionbilder aus der Menge, wühlten uns vor bis zum Truck mit der Bühne und fingen den Pokal selbst ein. Hennings Finger rutschte auf den Shutter, als die feiste Fußballlegende Jules François Bocande den Coupe über der Menge schwenkte. Mit seiner angewachsenen Sonnenbrille sah er aus wie ein Rieseninsekt. Die Leute vor dem Truck lachten und schrien, „Die Lions werden alles gewinnen!“ und Henning hielt drauf; im Hintergrund immer das riesige Cola-Logo am Truck.
Ich schirmte Henning ab und wir brachen durch die schwarze Masse, bis wir an der Spitze der Parade waren. Bisher hatten wir nicht viel von den Trommlern gehört, nur vereinzelt waren Breaks wie Salven durch die Luft geknattert, aber plötzlich waren wir mitten drin. Ein wilder Haufen irrer, hässlicher Gestalten, baumlang, pechschwarz und mit Rastazöpfen, die ihre Köpfe wie Skulpturen aussehen ließen. Es war – so schien es – nicht ganz ihre Uhrzeit und wäre nicht Coca-Cola gewesen, mit all dem Geld, sie hätten bestenfalls über die Idee gelacht, um 09:00 zu spielen. Aber sie waren da. Einer hämmerte mit himmelwärts gerichtetem Gesicht los und die anderen antworteten. Rund um mich bullerten und krachten die unterschiedlichsten Trommeln und als Europäer hörte ich eher eine Abfolge spastischer Tuschs als einen Rhythmus. Aber die Musiker posierten für Henning, fletschten ihre Zähne und waren wahnsinnig fotogen. Immer, wenn sich einer besonders ins Zeug legte oder es sonst ein ansprechendes Motiv gab, stieß ich Henning an und er filmte.
Die Percussionisten waren alle Medienprofis und
hatten unser kleines redaktionelles Vorauswahlsystem schnell durchschaut. Sie funkten mich mit breitem Grinsen an, ich stieß Henning und dann warfen sie sich in Pose.
Nach einer Weile ließ ihr Interesse an uns nach und ich bekam allmählich mit, dass sie jetzt ernst machten. Unsere Karawane zog durch das völlig verstopfte Dakar und um mich knatterte der härteste Techno, den ich je gehört hatte.
Henning und ich waren zu einem eher uninteressanten Teil des riesigen, lauten Umzugs geworden und bekamen einige wirklich gute Bilder auf Band. Weniger Show, mehr Energie. Die Trommler waren voll bei der Sache und bearbeiteten ihre Sabars wie die Berserker. In meinem Kopf begann das Pochen einer Kopfschmerzattacke ihrem krachenden Gemetzel zu antworten, die übrigen Zuschauer jedoch schienen das Spektakel entspannt zu genießen. Am Straßenrand wiegten sich beleibte Frauen zum Stakkato der Trommeln, lachten über die obszönen Gesten der Musiker und verspotteten die älteren Männer, die eitel bruchstückhafte Tänze aufführten. Da und dort sah ich auch die riesigen Kalender wieder und mitten im Getümmel ließen kleine Mädchen probeweise ihre Hüften kreisen. Der infernalische Lärm der Trommeln und die entspannte Stimmung der Leute standen in einem eigenartigen Widerspruch, aber Dakar wurde langsam warm mit diesem Tag und seinen Attraktionen.
Ich war dazu übergegangen, nur sacht Hennings Arm zu drücken, sobald ich ein Motiv ausgemacht hatte und mit dieser Methode kamen wir gut voran. Nur einmal brachte ich uns wieder in das geltungsbedürftige Bewusstsein der Trommler zurück, als ein dreckiges Bündel von Mann direkt vor die Trommler sprang und eine Art Anfall erlitt. Ich stieß Henning fast um und Henning stülpte überrascht seine Augen vor. Der schmutzige Kerl trug hüftlange Rastas, war zerlumpt und sehnig und hielt mit ausgebreiteten Armen den ganzen Umzug auf. Er schrie und gestikulierte und was auch immer er wollte, spielerische Lässigkeit war nicht sein Thema. Im Gegenteil. Er provozierte die Musiker, bog seine Hüften und forderte gierig mehr Kraft an den Sabars. Henning zielte und einer der Trommler zog sofort wieder eine Show ab. „Baye Fall!“, brüllte er und spielte für den Bettler ein ohrenzerfetzendes Solo, von dessen Wucht mir schlecht wurde. Der zerlumpte Körper hingegen nahm das harte Geknatter auf wie ein Hund einen Knochen und um den Bettler und seinen Trommler bildete sich ein Kreis beifällig und provokant klatschender Menschen. Die ganze Darbietung
nahm sich aus wie ein Kampf, unverständlich und rau. Es war jedenfalls keine folkloristische Darbietung für einen fröhlichen Tag, der Bettler richtete seine Ekstase an niemanden hier.
Henning störte mit seiner Kamera die eigenartige Szene und traf uns ein Blick, war er nicht freundlich.
Zuvor hatte sich jeder vor unser Objektiv gedrängt, jetzt verstellte man uns bewusst die Sicht. Aber wir waren vom Fernsehen. Unsere Aufgabe war, authentische Bilder vom Geschehen um uns zu zeigen. Egal, ob das Geschehen das wollte oder nicht.
Ich rempelte Henning unbarmherzig seinen Weg in den magischen Kreis um den Bettler und Henning spielte mit ihm wie ein störrisches Kind, das nach Kräften die Tatsache ignoriert, dass keiner es leiden kann. Fette, alte Weiber keiften in unsere Richtung, die Gebärden der Trommler waren bedrohlich und die Kinder ließen spottende „Toubab-Toubab“-Chöre gegen uns los. Frei übersetzt schien das „Aussatz – Aussatz“ zu heißen.
Nur der Bettler war ungerührt und völlig weggetreten. Energisch und mit grotesken Verrenkungen forderte er noch mehr Einsatz vom Percussionisten und der ließ sich nicht bitten: Beat für Beat, Break für Break hämmerte er
dem Bettler eine ganz persönliche Party hin und der Bettler tanzte, als bekäme er jeden Schlag auf die Fußsohlen. So etwas Ähnliches hatte ich auch bei illegalen Raves gesehen. Morgens, wenn die Sonne aufging und nur noch eine Handvoll Leute in Bewegung war, gab es diese Battles zwischen dem DJ und den Tänzern. Er mixte immer unmenschlichere Tracks, aber sie sahen jedes Break kommen. Die Beats rasten auf die Tänzer zu wie Slalomstangen und sie bewegten sich durch das Gehämmer wie Alberto Tomba durch einen Übungshang. Jeder wusste, was als Nächstes kam, alle Schädel waren mit Speed vernetzt. Hier war es etwas anderes, das jeder verstand.
„Die sind ganz schön abgefahren“, holte mich Henning zurück.
„Ja“, röhrte ich. Der Lärm war gewaltig.
„Wo ist Karin?“
„Nicht gesehen.“
„Scheiße.“
Es war kurz vor zehn, um elf hatte ich meinen Termin. Wir pflügten uns durch die Menschen zum Straßenrand und stellten fest, dass dort genauso viele Menschen waren. Die Kinder hatten ihre Idioten gefunden und zwängten sich immerfort „Toubab-Toubab“ kreischend hinter uns her durch das Gewühl der Beine. Es würde dauern, bis wir uns zum Team zurückgekämpft hatten. Außerdem war mir nicht ganz klar, wo wir uns eigentlich befanden.
Ich rief Karin an.
„Wo seid ihr Wahnsinnigen? Wir müssen ...“
„Ich kann fast nichts verstehen“, log ich, „wo treffen wir uns? Wir haben sensationelle Bilder.“
„Scheiß auf die Bilder, du Arschloch!!“, das war nicht mehr Karin. „Kommt sofort zurück zum Wagen! Wenn ich diese Scheiße nicht bis Punkt elf Uhr bei diesen Franzackenwichsern habe, wird der Beitrag nicht gesendet! Und dann zahlst du die
geschissene Pönale an Cola, ist das klar?!“
So viel zur Solidarität unter uns richtigen Supertypen.
„Stress“, schnaufte ich zu Henning hinüber, schnappte die Kamera und bahnte mir einen Weg durch die Menge.
„Wohin sollen wir jetzt?“
„Zurück zum Wagen.“
„Wo ist der, Scheiße?“
„Da lang.“
Ich hatte allerdings auch keine Ahnung, aber es war besser, ich hatte allein keine Ahnung und Henning zockelte einfach hinter mir her. Dakar ist tatsächlich eine ziemlich unübersichtliche Stadt. Und sie wurde nicht übersichtlicher dadurch, dass eine knappe Milliarde Menschen den verdammten Weltmeisterschaftspokal sehen wollte. Mein Herzschlag, die Trommeln und mein Kopfschmerz hämmerten in meinem Schädel und ich hatte einen Tunnelblick, als hätte ich zehn große Biere intus. Afrika kann einem schnell zu viel werden.
Wir gruben uns durch die Menschenmenge und so wie wir zuerst von einer Attraktion zu lästigen Touristen geworden waren, setzte sich nun der Kursverfall unseres Ansehens fort und wir wurden zu Ausländern. Wir waren weiß, wir wollten in die andere Richtung und wir waren jedem hier im Weg. Also drängten wir und stießen, wurden selbst gestoßen und beschimpft und ich fühlte mich einigermaßen ausgesetzt. Henning war hinter mir und unter den tausenden Gesichter, die uns anstarrten, war kein einziges weiß.
Glücklicherweise waren wir mit unserer Karawane nicht sehr weit gekommen und nach zehn Minuten des Stoßens und Gestoßenwerdens waren wir wieder auf dem Place de l'Independance. Ich konnte unseren Wagen vor der Préfecture stehen sehen. Genauer: Ich sah Karin am Dach des Wagens stehen und nach uns Ausschau halten. Sie sah hübsch aus da oben. Und sehr wütend. Aus ihrer Sicht war das auch ganz verständlich, schließlich waren wir ohne Drehplan und ohne ihr OK losgerast und für eine gute Stunde spurlos verschwunden. Wahrscheinlich hatte ich knapp 1000 gleichlautende Nachrichten auf meiner Sprachbox, Text in etwa: „KOMMT SOFORT ZURÜCK, IHR GEISTESKRANKEN!“ Der Platz war noch immer voll Menschen, aber ich konnte Kurt von Weitem schreien hören: Vielleicht war es aber auch nur eine böse Vorahnung.
Der Original-Kurt schrie jedenfalls nicht nur meine Vorahnung in Grund und Boden, sondern auch mich selbst.
„Was ist los mit dir, du vollgedröhnter Oberarsch! Hast du verdammte Drecksau überhaupt eine Ahnung, was mich das kostet, wenn diese verfickten Scheißnigger diesen Beitrag nicht spielen? Ich habe mit Cola einen Vertrag – verstehst du dieses Wort, du verschissener Drogenhippie? – ich bin verpflichtet, für eine landesweite Ausstrahlung zu sorgen ...“
„Dann sollten wir hier nicht rumschreien, sondern Gas geben. Wir haben übrigens wirklich Superbilder gekriegt. Das wird ein Spitzenbeitrag.“
Es kam nicht gerade zu früh, aber Henning warf sich sauber für mich in die Bresche und Kurt war ganz offensichtlich überrascht. Er sagte nichts. Was Henning geschickt nutzte.
„Karin, wir brauchen einen von diesen SOBOA-Schnarchern, damit er Chi zum Schnittplatz bei diesen Image-irgendwie Leuten bringt. Mit dem Taxi wird das heute nichts werden.“
Henning flatterte locker vor sich hin und machte einen auf routinierter Troubleshooter.
Aus irgendeinem Grund schonte ihn die Dampframme Kurt. Wahrscheinlich, weil er gestern auch brav gefickt hatte.
„Ok, vergessen wir's.“ Karin war ganz sachlich und würde es vielleicht in 100 Jahren vergessen haben. „Abdou, bringen Sie Herrn Tschirner in die Rue Félix Faure zu Image Afrique. Sie müssen vor 11:00 dort sein. Und du lass dir einen Lieferschein mit Datum und Uhrzeit geben.“
„Falls du unterwegs irgendetwas siehst, das dir gefällt: Nicht rauchen, nicht schnupfen, du Mongo-Arsch.“
Kurt hatte zu seinem unvergleichlichen Humor zurückgefunden und Henning begleitete mich einige Schritte weit.
„Mach dir nichts draus“, murmelte er, „Kurt ist ein Psychopath. Ich krieg das schon wieder hin.“
„Danke Henning.“
In Krisensituation mussten wir uns einfach benehmen wie in einer Sitcom. Schließlich waren wir vom Fernsehen.
Mein Begleiter war der sympathischere der beiden SOBOA-Knaben. Er war dünn und kleiner als ich und wenn er den Mund aufmachte, konnte man sehen, dass seine Zähne faulig waren und fast waagrecht nach vor standen. Wahrscheinlich schwieg er deshalb die meiste Zeit. Ich sah ihn freundlich an und er lächelte mit geschlossenem Mund zurück.
Er war der ideale Begleiter für diese Situation. Wenn ich auch ein Schwarzer gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich zu mir gesagt, was für ein verrückter Idiot dieser fette Weiße doch war, ich hätte ihm lachend recht gegeben und wir hätten ununterbrochen über irgendetwas reden müssen. So sagte er weiterhin nichts und wies nur gelegentlich mit der Hand in die Richtung, in die wir gehen mussten.
Henning hatte mir gestern ganz schön den Abend versaut und er wusste das. Aber heute hatte er mich vor Kurt bewahrt und das sollte man nicht gering schätzen. Kurt dazwischenzureden, wenn er in Fahrt war, barg eine Haufen Risiken. Unter anderen das, in der ganzen Branche schlecht gemacht zu werden.
Dagegen konnten wir zwar ohnehin nichts tun, aber im Moment war der Sturm abgeflaut. Ich würde
Kurt für den Rest des Tages ganz einfach aus dem Weg gehen.
Bevor mir jedoch der Rest des Tages Sorgen bereiten konnte, führte mich mein Weg durch einen überraschend angenehmen Teil von Dakar. Die Rue Félix Faure war asphaltiert, hatte einen breiten Gehsteig und die Geschäfte befanden sich nach westlicher Manier zum größeren Teil im Inneren der Häuser, weshalb man den Gehsteig auch benutzen konnte. Der Übermut meiner Morgenprise war spätestens an Kurts Zorn verpufft und ich war müde, hatte Kopfschmerzen und fühlte mich flau. Trotzdem gefiel es mir hier. Wir waren südlich des Zentrums und die ganze Gegend hatte ein mediterran-entspanntes Flair. Ich war mir nicht ganz sicher, in welchem Teil von Dakar sich Susanne so wohl fühlte, aber das hier wäre in etwa meine Abteilung gewesen: Häuser in schattigen Gärten, klimatisierte Geschäfte, dezente Bürogebäude und eine sehr geruhsame Stimmung in der Nachbarschaft.
Auch im Büro von Image Afrique war es nicht die Hektik, die den Ton angab. Der Empfangsbereich erinnerte an ein Reisebüro, alles war billig auf Exotik getrimmt. Es war 10:42 und hinter einem mit Bambus dekorierten Empfangspult hing eine scheinbar alkoholkranke weiße Bürokraft in ihrem Sessel. Die Augen der Frau dümpelten über truthahnhalsfärbigen Tränensäcken und nahmen einen weinerlichen Ausdruck an, als ich ihr meine dringende Sendung für Monsieur Perret ankündigte. Aber sie wackelte los, um Monsieur in einem mit production beschilderten Bereich der Image Afrique - Niederlassung zu suchen. Sie war vielleicht 40, ein Wrack und wirkte sehr angreifbar. Ich feuerte ihr ein „Sehr wichtig!“ hinterher, da ich ein wenig das Gefühl hatte, unsere Mission könnte mehr als unter allem anderen unter der Beteiligung dieser Leute leiden.
Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Monsieur aus den Produktions-Sphären seines kleinen Reiches angeschlurft kam. Durch die Tür, die sich langsam hinter ihm schloss, sah ich einen alten Beta- Schnittplatz, Madame blieb verschwunden. Sie hatte mich in den letzten zehn Minuten mit meiner
wachsenden Wut alleine gelassen und nun bekam ich meine Befürchtungen bestätigt: Die Sache hier lief nicht nur schlecht, sie wurde zu einer Katastrophe. Monsieur erklärte mir ohne Zeit für Begrüßungsfloskeln zu verschwenden, dass ich nicht sein einziger Kunde war und er tatsächlich nicht genau wusste, was er mit diesem Band anfangen sollte. Also haspelte ich durch eine radebrechende Erklärung über die große Bedeutung, Coca-Cola, den Coupe du Monde, die Nachrichten und unseren Vertrag, aber Monsieur blieb stur.
„Sie wollen das da heute geschnitten haben und kommen heute damit zu mir? Das ist ja grotesk. Coca-Cola ...“
Monsieur war ein Arschloch. Ein ranzig riechender Drecksack mit fettglänzender Nase, der vermutlich davon lebte, Pornos zu schneiden und mich für einen Idioten hielt.
„Sie schneiden fertig und bringen Band heute 16:00 in Teranga Hotel! Sonst ‚Guten Tag in Berlin’!“ Das war eine ziemlich komplexe Botschaft.
Monsieur starrte mich an, als wäre ich verrückt. Dann laberte er wieder los und soweit ich verstand, weigerte er sich, das Band anzunehmen, da er sich nicht zuständig fühlte. Offenbar konnte er mit seiner alten Beta die vereinbarten Leistungen doch
nicht erbringen und versuchte jetzt, mit dieser Show Zeit zu schinden. Nachher würde er wahrscheinlich behaupten, er hätte das Material zu spät erhalten. Ich sollte jedenfalls der Mann sein, den er mit seinem kleinen Plan in die Scheiße ritt, so wie Karin ihn mit ihrem Vertrag in die Scheiße geritten hatte.
„Schneiden Sie diesen verdammten Film fertig!“ Die Wut trieb mir das Blut in die Ohren, aber das änderte gar nichts: Kein Franzose hat jemals irgendwo Englisch gesprochen.
Und tatsächlich: „Ich verstehe Sie nicht.“ Und dann kam noch etwas in der Art, man solle Französisch sprechen, wenn man in einem frankophonen Land war. Arschloch. Die Leute hier waren genauso französisch wie ich.
Was konnte ich tun? Karin anrufen? Nach unserem kleinen Ausritt am Morgen wäre das nur eine weitere Schlappe gewesen, die Henning und mich als das tranigste Team der Erde hätte erscheinen lassen. Monsieur und ich starrten einander an und inzwischen war es 10:58. Die ganze Situation war lächerlich. Es gab nichts zu diskutieren – ich hatte das Material rechtzeitig gebracht, er hatte unseren Rohschnitt und alles, was fehlte, waren ein paar
Schnitte und die Mischung, um den Beitrag fertig- zustellen. Das war alles. Was sollte ich ihm erklären? Er hatte einen Vertrag unterschrieben und er wäre nicht der Erste, den Kurt an den Eiern vor Gericht schleifen ließ.
Aber das war schließlich sein Problem. Von mir wollte man nichts als einen Lieferschein. Also schob ich den alten Pornofranzosen ganz einfach zur Seite und suchte im Empfangspult von Madame nach Lieferschein- formularen. Monsieur schrie wie ein Verrückter, was mir einfiel und dass er die Polizei holen würde und gerade als ich einen Block Lieferscheine komplett mit Firmenstempel und allem gefunden hatte, packte er meinen Arm, zerrte etwas unkoordiniert daran und schlug mir mit einer ungelenken Bewegung aufs Ohr.
Ich richtete mich auf und Monsieur hörte auf zu zerren. Er hielt sogar kurz den Mund.
Ich habe schon einmal einen Mann bewusstlos geschlagen. Damals habe ich mir die Hand gebrochen und eine Vorstrafe ausgefasst – einer der Gründe, weshalb ich diesen Gewinnerjob mache.
Seither habe ich mich aus allem rausgehalten, Prügeleien gehörten für mich einer fernen Vergangenheit an. Genauso wie das Wiener Straflandesgericht und mein Leben als
Student. Aber Monsieur jetzt und hier zu prügeln, bis er sich ohne Bewusstsein erbrach, war keine ferne Vergangenheit. Ich war nur eine Armlänge davon entfernt, es zu tun. Und Monsieur konnte das sehen.
Der Block klatschte auf das Empfangstischchen und ich füllte den Lieferschein aus: Lieferumfang, Kurzbeschreibung, Bandnummer, Datum, Uhrzeit, alles. Es war nichts geschehen.
„Unterschreiben“, sagte ich und Monsieur unterschrieb.
Draußen grinste der SOBOA-Mann breit und vergaß dabei auf seine Zähne.
„Das war am doole gegen diesen Franzosen.“
Immerhin, mein Begleiter sprach englisch und war feinfühlig genug, mir weiteres Französisch zu ersparen.
„Was ist am doole?“
„Am doole ist Wolof. Es heißt stark. Der hat sich angeschissen.“ Er lachte wieder. „Das ist gut, wenn man den Franzosen Dampf macht.“
„Danke schön.“
„Ich heiße Abdou“, lächelte Abdou und streckte mir die Hand entgegen.
„Angenehm, Chi.“ Seine Hand war rau und trocken. „Kann man hier irgendwo einen Kaffee trinken?“
„Ja, Café Touba! Sehr berühmt und gesund. Gleich hier.“
Wir bogen in eine Seitengasse der Rue Félix Faure ein und ich rief Karin an.
„Hallo, this is Karens Voicemail. Please leave a message after the beep.“
Henning ging sofort ran.
„Hi Henning, ist Karin in der Nähe?“
„Klar, wir tuckern gerade ins Hotel. Alles ok bei dir?“
„Ja, ja, kein Problem. Nur diese Typen machen irgendwie Ärger. Die werden das bis heute Nachmittag nicht schaffen.“
„Was für Typen?“
„Image Afrique.“
„Shit. Aber das Material hast du abgegeben?“
„Klar.“
„Dann tacker dir den Lieferschein ans Hirn und komm her. Der Rest ist uns wurst. Klar?“
„Schon ok. Sag Karin, sie soll mich anrufen.“
„Ich werde ihr gar nichts sagen“, zischte Henning hinter vorgehaltener Hand. „Du hast deinen Job gemacht und ich will nicht in irgendeine Produktionsscheiße verwickelt werden, ok.“
„Mach dich doch nicht gleich wieder nass. Was haben wir davon, wenn Karin eine auf den Deckel kriegt und ich hätte es verhindern können?“
„Wir kriegen keine auf den Deckel. Das haben wir davon“, knurrte Henning mit gedämpfter Stimme, „also misch dich ja nicht in diese Produktionskiste ein.“
„Henning ...“
„Ok, wie du willst. Sei live dabei, wenn Kurt explodiert. Lass dir den Kopf abreißen und in den Hals scheißen, ganz wie du meinst. Ich box dich da nicht wieder raus.“
„Sag Karin, dass sie herkommen soll, ok. Alles was wir kriegen werden, ist ein Mitarbeitsplus.“
„Ich sag ihr gar nichts, du blöder Schleimer. Sie hat gerade fertig telefoniert, ich geb sie dir ...“
„Hey Karin, Telefon für dich!“
„Wer ist das?“, hörte ich Karin fragen. Im Hintergrund hupte und brauste die Innenstadt von Dakar.
„Chi ist dran.“
„Was gibt's denn?“
„Keine Ahnung ...“
„Gib her ... Hi, Chi. Was ist los?“
„Hi Karin. Na ja, ich hab gerade das Material abgegeben und der Typ meint, er schafft das nicht bis heute Nachmittag.“
Eine Sekunde lang schwiegen wir.
„Wo ist diese Rue Faure?“
„Félix Faure. Keine Ahnung, südlich vom Zentrum ... “
„Warte dort.“
„Gern.“
„Voilà, Café Touba!“ Abdou hatte mich zu einem dieser kleinen Geschäfte geführt, in denen die Senegalesen alles in winzigen Säckchen kauften. Es war nicht mehr als ein Bretterverschlag, der an einer Hausecke klebte und auch als Kaffeehaus zu dienen schien. Eine Gruppe älterer Männer in leuchtend hellen, eindrucksvollen Gewändern stand davor, es wurde heftig debattiert. Einige tranken eine schwarze, schaumige Brühe aus schmutzigen Longdrinkgläsern. Café Touba. Abdou bestellte ein Glas davon für mich und ein Säckchen Limonade für sich selbst. Die Frau am Kocher goss meinen Kaffee so lange von einem Glas in ein anderes und wieder zurück, bis sich ein zäher Schaum auf dem Getränk gebildet hatte. Etwas Stärkeres habe ich noch nicht gerochen. Was auch immer er enthielt, der Café Touba war geballte Kraft und obwohl er mich an Kurts Durchfallattacke denken ließ, tat er mir gut.
Vielleicht hatte Henning recht und ich war ein Schleimer. Aber wir waren Dienstleister, da musste man sich schließlich ein bisschen einsetzen. Außerdem gefiel mir die Idee, Karin nach unserem Auftritt von heute Morgen einen Gefallen zu tun. Ich mochte sie gern. Sie gefiel mir.
Ich stand im Schatten eines dürren Baumes, der Kaffee roch stark und um mich brodelte das dunkle Wolof der alten Männer. Abdou hatte sich in die laufende Konversation der Alten eingeklinkt und ich genoss an eine kühle Hauswand gelehnt das Spektakel eines großen, afrikanischen Palavers. Das Gehabe der Männer war stolz, jeder unterstrich das Gewicht seiner Worte mit gravitätischen Gesten, tiefe Falten zerfurchten wie Wasserläufe oder geheime Schriftzeichen ihre Gesichter. Mit ihren bodenlangen Gewändern erinnerten sie an Priester einer Ehrfurcht gebietenden Sekte. Der Sermon der Reden wogte hin und her und je länger Reden und Gegenreden aufeinanderprallten, desto öfter erkannte ich im heiseren Gebell der Alten das Wort 'Senghor'. Ich wusste, dass der Flughafen Senghor-Airport hieß, und war beunruhigt. Der 11. September war noch nicht lange her und wer konnte wissen, wie viele heilige Krieger sich noch ein Dutzend Unterhosen anziehen und sich mit einigen von uns kapitalistischen Schweinefressern in die Luft jagen würden.
„Was ist los, Abdou?“
Abdou hatte einen Zipfel von seinem Getränke-
säckchen abgebissen und nuckelte an seiner Limonade.
„Ein Problem, Senghor ist gestorben.“
„Wer?“
Abdou war überrascht und verfiel zurück ins Französische: „Senghor, unser erster Präsident. Er war noch der Beste, aber auch ein Franzosenfreund.“
Das hätte er mich vermutlich besser auf Englisch wissen lassen, denn diese Einschätzung wurde von den umstehenden Männern offenbar nicht geteilt. Die Alten bellten und knurrten in ihrem unfreundlichsten Wolof los und wenn Wolof schon im normalen Gebrauch unfreundlich klingt, klang es diesmal besorgniserregend. Es gab keine Rede mehr und keine Gegenrede, die Alten bellten Abdou wie aus einem Hals an und mein Begleiter musste hektisch um sein Leben plappern, bevor er mir nach und nach auseinandersetzen konnte, was geschehen war. Eben hatte man im Radio bekannt gegeben, dass der erste Präsident der unabhängigen Republik Senegal, der Dichter und Politiker Léopold Sédar Senghor, heute 95-jährig in Frankreich verstorben war.
Und er war nicht irgendein Franzosenfreund gewesen, sondern die Blüte der senegalesischen Kultur, was sein Ableben zur größten Katastrophe
machte, die das Land auf ideeller Ebene hatte treffen können.
Wie das klang, gab es hier Breaking News, die eine Product-Placement-Geschichte wie unsere leicht aus den Nachrichten verdrängen konnte.
„Wird man es im Fernsehen sehen?“
„Oh ja! Ich höre, dass Sondersendungen geplant sind. Mit Reden und eine Live-Schaltung nach Paris.“
„Gute Nachricht – Coupe du Monde, schlechte Nachricht – Präsident tot ...?“ Wieder eine dieser komplexen Zusammenfassungen, zu denen mich meine sprachliche Nacktheit zwang. Aber ich hatte damit den richtigen Punkt getroffen.
„Oh no“, Abdou kehrte wieder zum Englischen zurück; scheinbar wollte er keine neuerliche Auseinandersetzung mit dem Rat der Ältesten riskieren. „Ich habe große Sorgen um das Projekt. Sie werden nicht die Parade zeigen, wenn Senghor gestorben ist. Es ist ein großes Problem.“
„Sie nehmen die Berichte von der Parade aus dem Programm?“
„Ich befürchte das. Monsieur le Directeur Koné wird sehr wütend sein.“
Wer immer Monsieur-le-Directeur-Koné war, ich hatte einige Neuigkeiten für Karin.
„Hallo, this is Karens Voicemail. Please leave a message after the beep.“
Also gingen wir sie suchen. Ich marschierte mit Abdou zurück in Richtung Image Afrique und er teilte seine Sorgen mit mir. Monsieur Koné, berichtete Abdou mit ernster Miene, war der Marketingdirektor der SOBOA und persönlich für den Erfolg der Kooperation mit Coca-Cola verantwortlich – wahrscheinlich hatte ich ihn deshalb bisher noch nicht zu Gesicht bekommen. Jedenfalls hatte Monsieur ausgezeichnete Beziehungen zu RTS1, weshalb die Ausstrahlung unseres Films, der – Abdou grinste schlau – klar werblichen Charakter hatte, als redaktioneller Nachrichtenbeitrag möglich geworden war. Dem Ungemach dieses Todesfalles konnte aber nicht einmal Monsieur Konés Einfluss gewachsen sein und Abdou sah als einfühlsamer Mitarbeiter eine weitere Chance seines Chefs schwinden, Cola als Ausgleich für die Schimmelaffäre von 2000 ein kleines Extra an Leistung zu bieten.
Seit meiner Ankunft in Dakar vor mehr als 30
Stunden hatte ich in der festen Überzeugung gelebt und gearbeitet, hier auf einem fremden Planeten zu wandeln. Wohin ich auch blickte, die hässliche Exotik, die undurchdringliche Fremdheit und die absolute Unverständlichkeit meiner Umgebung bestätigten dieses Gefühl. Trotzdem ließen Abdous Ausführungen nur einen Schluss zu: Auch in dieser Welt, die meinem Bedürfnis nach Benutzeroberflächen, Produktdesign und unverbindlichem Massenkonsum so gar nicht entgegen kam, pulsierte scheinbar das reine, schmierige Blut der westlichen Marktwirtschaft. Das war vielleicht nicht schön, aber im ersten Augenblick empfand ich so etwas wie Dankbarkeit, hier nicht von unentschlüsselbaren, dunklen Geheimnissen umgeben zu sein, sondern von Geistern, die ich kannte.
Monsieur Perret platzte fast, als ich die Tür seines Büros aufriss. „Was tun Sie hier, ich hole die Polizei! Verschwinden Sie gefälligst! Sofort!“
Als ich ihn zuletzt gesehen hatte, war sein Kopf wie ein Mond aus nassem Teig zwischen seinen Schultern gehangen, jetzt hingegen war er puterrot verfärbt. Er schien sich wirklich aufzuregen.
„War Madame Karin Hörmann hier?“
„Was weiß ich! Verschwinden Sie!“
Abdou hatte rasch erkannt, dass die diplomatischen Brücken zwischen mir und Monsieur abgebrochen waren, und schaltete sich als halbwegs neutraler Vermittler ein. Immerhin brachte er damit in Erfahrung, dass wir zu spät gekommen waren.
Wir hetzten die Rue Félix Faure entlang und hielten nach Karin Ausschau. Wir hatten sie nur um wenige Minuten verpasst und es war nicht schwer, sie zu entdecken. All die Fremdheit von Dakar konnte ihr nichts anhaben: Sie selbst war hier das Wunder, nach dem sich alle Köpfe verdrehten und das in der Rue Félix Faure ein Kielwasser des begehrlichen Staunens hinter sich zurückließ. Sie war eine blonde, dralle Attraktion in bester Stimmung.
„Hi Karin ...“
„Ah, hallo Chi! Wo kommt ihr denn her?“
„Image Afrique. Wir haben dich gesucht.“
„Wollen Sie einen Café Touba?“, schaltete sich Abdou ein. Er ging in seiner neuen Rolle als Vermittler zwischen Weißen voll auf.
„Danke nein“, meinte Karin. „Biir bu dow kann ich nicht brauchen.“
„Biir bu dow!“, kreischte Abdou begeistert. „Sie sprechen Wolof!“ Seine diplomatischen Fähigkeiten waren ihm plötzlich ganz egal, es ging ihm nur noch um Karin selbst.
„Ein bisschen. Das gehört dazu, wenn man eine fremde Kultur verstehen will.“
Karin war sehr charmant und Abdou schwänzelte beglückt um sie herum; wie es aussah, hätte er sie am liebsten einfach mit nach Hause genommen.
„Was war denn eigentlich das Problem?“ Ich hätte auch ganz gerne ein wenig geschwänzelt, aber im Moment ging die Arbeit vor.
„Die Leute hier sind sehr unzuverlässig. Auch die Weißen. Der Kerl wollte einfach mehr Geld.“
„Das ist eine fiese Zecke. Der wollte mich voll auflaufen lassen.“
„Na ja, er war jedenfalls ziemlich fertig, dass sich die Materialübergabe in eine Art Raubüberfall verwandelt hat.“ Karin lachte. Sie war wirklich sehr charmant.
„Hör mal, ich habe gerade erfahren, dass der erste Präsident von Senegal gestorben ist und sie irgendwelche Sondersendungen bringen werden.“
Der charmante Teil war beendet. „Und was heißt das jetzt?“
„Keine Ahnung. Abdou meint, wir gehen vielleicht nicht auf Sendung ...“
„Fuck.“
Karin war natürlich auch Krisenmanagementprofi. Ich und Abdou lösten uns gleichberechtigt in Luft auf und sie begann, unbeirrbar alles richtig zu machen. Sie rief Kurt nicht an. Dafür rief sie Monsieur le Directeur Koné an. Der bestätigte ihr, dass hinsichtlich der Ausstrahlung mit Problemen zu rechnen war und da Karin offenbar auch ausgebildete Diplomatin war, fand sie genau die richtigen Worte, um ihr Bedauern auszudrücken und dennoch den entstandenen Handlungsbedarf nicht aus den Augen zu verlieren.
„Okay“, sagte sie, als sie mit Monsieur Koné zu Ende gekommen war. „Zurück ins Hotel. Wir gehen einstweilen davon aus, dass der Beitrag doch gesendet werden kann. Kein Wort zu Kurt.“
Ich hatte einen der Seminarräume für eine improvisierte Abnahme vorbereitet. Ein schwarzer Hotelbediensteter hatte mir den Raum für unsere présentation zugewiesen. Er war hell und klimatisiert, trotzdem hatte der Schweiß von Unterhändlern und neokolonialistischen sales assistants kleine, helle Ränder auf den Sitzbezügen der Sessel hinterlassen, die ich rund um den Monitor aufstellte. Ich wuchtete mein Equipment auf den Tisch und begann per Autopilot mit der Verkabelung.
Karin war sauer gewesen, weil das Extra, das ihr der ranzige Pornofranzose rausgerissen hatte, möglicherweise ebenso verschwendet war wie der Rest aller Mühen, die wir bisher in den Film investiert hatten. Abgesehen davon war die Stimmung beim Essen gut gewesen. Karin und ich waren verschworene Geheimnisträger, Kurt hatte gepennt und Henning war eifersüchtig, weil ich alter Schleimer mit meinem Dienstleistungs- gedanken den morgendlichen Schnitzer bei Karin ausgebügelt hatte, während sie ihn behandelte wie einen grindigen Puffgeher und Saufkopf.
Ich warf gerade den Monitor an, als er hereinkam. Er war
zu früh dran, wirkte sauer und begann, an den Kabeln herumzuwursteln.
„Was ist, müssen wir ohne Timecode schauen?“
„Ich bin noch nicht fertig.“
„Na, dann mach halt.“
Mein geliebter Partner war in Bestform. Er schlich um den Tisch, wischte unsichtbare Fussel von der Kamera, warf besorgte Blicke auf die Kabelbuchsen und ging mir auf die Nerven.
„Wenn du mir nicht im Weg rumstehst, krieg ich's vielleicht hin.“
Henning setzte sich und schmollte. Er hatte eine phänomenale Art, sich um unsere kleine Firma zu kümmern. Abends raste er im Sog seiner Hoden durch die Stadt und gab keine Ruhe, bevor er in irgendeinem Puff seine Abreibung bekommen hatte, dafür war er am nächsten Tag knautschig und paranoid und felsenfest überzeugt, dass ich uns mit einem einzigen Fehler ruinieren würde. Also hatte ich keine zwei Minuten Ruhe, bevor er wieder loszeterte.
„Hör mal, ich habe dich und Karin beobachtet.“
„Und?“
„Was und? Der Kurti tut seinen Pimmel in die Karin rein! Wenn er merkt, dass du sie anföhnst, schickt er uns in schwarzen Säcken heim!“
„Henning, bitte. Krieg dich wieder ein, ok.“
Ich hatte den Monitor soweit und setzte mich Henning gegenüber auf einen Klappsessel.
„Was – krieg dich wieder ein? Läuft da was oder nicht?“
„Du hast recht, Herr Teampsychologe. Karin und ich waren ein bisschen vertraulich. Aber das hat einen ganz einfachen Grund.“
„Du hast sie bei Image Afrique im Schneideraum gebumst.“
„Genau.“
Henning grinste. „Idiot. Was war wirklich?“
„Eigentlich darf ich es niemandem sagen, aber der Beitrag kann vielleicht nicht gespielt werden.“
„Scheiße, warum?“ Ich hatte die nackte Panik in Hennings Gesicht gezaubert.
„Der erste Präsident von Senegal ist gestorben.“
Henning sank in seinem Sessel zusammen wie ein leckes Schlauchboot. „Ok, das ist mir wurst. Ist ja nicht unser Ding.“ Er machte eine kleine Pause. „Oder hast du den Typen kalt gemacht?“
Henning wusste von meiner Karriere als Schädel zerschmetternder Trunkenbold und obwohl wir unsere Streitereien häufig mit kleinen Bösartigkeiten beilegten, kam mir dieser Spruch
nach meinem heutigen Zusammenstoß mit Monsieur nicht gerade gelegen. Im Grunde denke ich nicht sehr gerne an den Tag, an dem ich mein Leben zerstört hatte (O-Ton meiner Mutter).
„Geh scheißn, Henning.“
„Meine Güte, du Sensibelchen.“ Henning gab zum Trost die Tucke. „Musst du dich an Mamas Schwimmreifen ausweinen?“
„Ich glaube, das würde meinen Tag retten. Kurt, Karin und die halbe Westafrika-Division von Cola spazieren hier rein und ich habe gerade meinen Kopf in deinem Schoß.“
„Meine Güte, wir haben halt auch unsere kleinen Geheimnisse miteinander.“
Die Westafrika-Division von Cola kam natürlich nicht. Die wussten längst, was Sache war, und dachten vermutlich inzwischen darüber nach, wie man die aufkommende Senghor-Nostalgie brandingmäßig an Cola koppeln könnte. Good old Times, good old Taste oder so. Vintage-Bilder von einem glücklichen, unabhängigen Schwarzen, der seiner geliebten, unabhängigen Frau unter einem Affenbrotbaum ein Senghor-Gedicht vorliest. Dazu trinken sie Coke. Irgend so ein Witz. Unseren kleinen Film hatten die wahrscheinlich längst vergessen.
Nur Kurt hatte keine Ahnung und wir alle konnten nur hoffen, dass Karin die Sache unter Kontrolle hatte.
Und wie es schien, hatte sie das. Image Afrique ließ uns das Band von einem jungen Schwarzen überbringen, die Schnitte waren stümperhaft, das Band aber technisch in Ordnung. Kurt rüpelte ein wenig herum, wie man solche Scheiße zusammenschneiden konnte, aber ihm war klar, dass der Beitrag technisch und gestalterisch weit über dem Niveau des RTS1-Programms lag.
Die Abnahme war überstanden, Karin machte sich mit dem Band auf den Weg zum Sender und der Rest der Blase zog sich auf die Zimmer zurück.
Henning kniff mir zum Abschied in den Arsch und freute sich. Für ihn war alles erledigt. Der Dreh war gut gelaufen, Kurt hatte uns nichts abgerissen, uns nicht in Säcken heimgeschickt und Henning auch sonst keinen Anlass gegeben zu fürchten, er würde unsere kleine Firma nie wieder beauftragen. Wir hatten unseren Promotiondreh für Kurt Gratzner praktisch zwischenfallsfrei bewältigt. Alles, was jetzt noch kommen konnte, war reine Privatsache.
Also rief ich Susanne an. Ich stand frisch geduscht in meinem Zimmer, das warme Licht des frühen Abends ließ die braune Täfelung meines Betthauptes ungewohnt freundlich aussehen, das Telefon war ein klobiger Kasten mit vielen Knöpfen und Susanne war noch in Rufisque. Sie saß dort mit ihrem Kollegen oder Freund fest. Trotzdem verlief unser Gespräch zunächst gut: Sie erzählte, ich hörte zu. In Rufisque drängte die steigende Flut bei bestimmten Wetterlagen das Wasser zurück in die Kanalisation, was zu spontanen Überflutungen in den Straßen der Stadt führen konnte. Susanne und ihr Kollege oder Freund waren in eine solche Springflut aus Scheiße und Müll geraten und dabei war der Wagen der obersten Frauenprojekt-Frau beschädigt worden. Mit anderen Worten: Susanne würde heute Abend nicht in Dakar sein. Auf meine Frage, warum verdammt sie sich nicht einfach in ein Taxi setzte und hierher kam – nach meiner Karte war der unaussprechliche Ort kaum 40 Kilometer von Dakar entfernt – antwortete sie in ihrer entwaffnenden Susanne-Art, man könne sich hier als Weiße nicht einfach aus dem Staub machen, sobald es Probleme gab. Immerhin wollte sie von
den Leuten ernst genommen werden. Dagegen war nicht viel zu sagen. Ernst genommen werden nur die Problemlöser. Unser Treffen wurde auf morgen Abend verschoben.
Ich war nicht wirklich verärgert darüber, von Susannes Grundsätzen einmal mehr zum zweitwichtigsten Ereignis in ihrem Leben gemacht worden zu sein. Betrachtete man es rational, war es überhaupt kein Problem. Betrachtete man es freundlich, half ich ihr, sich zu verwirklichen. Sie kämpfte hier, in einem Land, das ich – wenn überhaupt – als undurchsichtigen und chaotischen Ort erlebt hatte, um wissenschaftliche Resultate. Sie kämpfte darum, mit ihrer Sicht der Dinge ernst genommen zu werden. Von den gut aussehenden Gegenständen ihrer Forschung ebenso wie von den Kapazitäten, denen sie ihre Erkenntnisse würde präsentieren müssen.
„Eine Frau in Afrika – Kollege, da gibt es eine Menge unwissenschaftlicher Implikationen ...“
Solche Unterstellungen hatte sie oft gehört – oder eben nicht gehört, sondern kolportiert bekommen. Das eierlose, boshafte Papiergekicher, mit dem die wissenschaftliche Intelligenz ihre Zoten zu untermalen pflegt, konnte sie sich dazu denken.
Ich hingegen war auf Susannes Seite. Ich fand ihre Arbeit gut. Ich wollte, dass sie schaffte, was sie sich vorgenommen hatte. Trotzdem hatte sie mich mit ihrer entwaffnenden Susanne-Art nach und nach in ein inneres Exil getrieben. Im Lauf unserer vier gemeinsamen Jahre hatte ich einen Mit-Susanne- und einen Ohne-Susanne-Modus entwickelt. Im Mit-Susanne-Modus hatte ich Verständnis für globale Probleme, fand die Rechte von Minderheiten überaus wichtig und übte bewusst die Verantwortung aus, die mir jede einzelne Kaufentscheidung auferlegte. Im Ohne-Susanne- Modus war ich als Assistent in einer sexistischen, ausbeuterischen und hedonistischen Branche gut aufgehoben. Die kleine Verzögerung in unserem Plan bedeutete nur, dass ich eben einen weiteren Tag im Ohne-Susanne-Modus laufen musste.
Mein Mobiltelefon meldete den Eingang einer short message und ich rief mit einem Anflug von Zärtlichkeit meine Mitteilungen ab. Susanne hatte die Angewohnheit, unseren sachlichen Gesprächen per sms kleine freundliche Botschaften hinterher zu schicken. Das gefiel mir gut, ich gurre auch nicht gern ins Telefon. Diesmal aber las ich: „Fressen im Le Niane! Henning“
So ist der Ohne-Susanne-Modus.
Im Le Niane saßen Kurt und Henning bereits an „unserem“ Tisch, das Personal war dasselbe wie am Abend zuvor. Der einzige Unterschied war, heute wussten sie bereits, welcher Kategorie von Nobelabsteigern wir angehörten und machten kein Hehl daraus, dass wir ihnen so egal waren wie sie uns. Wenn wir etwas wollten, würden wir schon auf sie zugetorkelt kommen, um unseren niedrigen Bedürfnissen lallend Gehör zu verschaffen.
Kurt sah über seine Verhältnisse beschissen aus. Sein Kopf schien mit nachlassender Anspannung geschrumpft zu sein, jedenfalls hing seine solariengegerbte Haut faltig an seinem Schädel und ließ sein Gesicht konturlos und alt aussehen. Er hatte sich seine Sonnenbrille ins ambitioniert dauergewellte Haar geschoben und trug ein frisches weißes Poloshirt – die Karikatur eines vermodernden Ex-Tennisprofis. Henning war eine verschmierte Katastrophe und sah genauso aus wie jemand, der den ganzen Nachmittag verkatert onaniert hatte. Ich lehnte mich in meinem Korbsessel kolonialen Stils zurück und betrachtete mein Spiegelbild in einem der Panoramafenster. Gestern hatte ich mich dem blasierten Restaurant
in meiner knielangen Sethose präsentiert und wir hatten keine Chance ausgelassen, uns als kompletten Abschaum zu outen. Heute hatte ich mich dem Schutz einer langen Leinenhose anvertraut und mein einziges Hemd übergeworfen, dessen Kragen nicht wie welker Salat um meinen Hals lag. Ich sah müde aus und ein wenig schnöselig, aber jedenfalls ganz gut; ein verlässlicher Panzer. Wenigstens hoffte ich das, denn im Hintergrund federte Karin die Natursteintreppe zwischen Pool und Restaurant herunter und ihr dynamisch problembewusster Schritt ließ nur einen Schluss zu: Unser Beitrag wurde nicht gesendet.
Karin hatte bestimmt auch ein master's degree in Krisen-Briefing und klatschte die Neuigkeit in drei Sätzen auf den Tisch: Senghor tot, Ausstrahlung gecancelt, Cola ohne Ansprüche an uns. Kurt glotze ein Weilchen und Karin setzte sich. Ihre blond-duftende Anwesenheit brachte unseren Tisch in das Bewusstsein des Personals zurück. Etwa zeitgleich mit dem eilends angehuschten Kellner, der „Madame wünschen?“ fragte, begann Kurt zu sprechen. Zunächst eher leise.
„Was glauben die eigentlich?“
„Es gibt kein Problem, Kurt. Danke nichts einstweilen."
Der Kellner entfernte sich, die Lage blieb gespannt.
„Mir sind diese Safttrinker von Cola am Orsch egal, liebe Karin. Ich komme in dieses geschissene Land, schwitze und stinke und scheiß mich aus von diesem Negerfraß, weil ich hier einen Film mache, und dann lässt dieser Dünnschiss im Anzug, dieser Monsieur Silberrosette von RTS1, meinen Beitrag streichen?“
Kurt machte eine dramatische Pause. Tatsächlich war es eher dieses kurze Schweigen, das alle Blicke auf ihn zog, als sein zunehmend lauter Vortag.
„Ist das so?!“
„Der Präsident ist gestorben ...“
Karins melodramatischer Appell brachte es auch nicht mehr ins Lot.
„Ich scheiß einen Haufen auf diesen Orsch von Präsident!“
Kurt brüllte und sein Whiskeyglas zerschellte energisch auf dem gekachelten Boden, der hier, mitten im sandigen Chaos von Dakar, den Eindruck geordneter Verhältnisse schaffen sollte. Alle Köpfe wandten sich in eine Kurt ausblendende Richtung.
„Ich scheiß auf euren Präsidenten! Ich scheiß auf
euer ganzes Land, ihr schwule Niggerbande!“ Kurt grölte in französischer Sprache und für das gesamte Volk der Republik Senegal: „Einmal kommt hier einer her, in dieses verschmierte Arschloch von diesem verkackten Kontinent, der eine Ahnung hat, wie man sogar hier noch vernünftig arbeiten kann und dann? Irgendein korrumpierter Drecksarsch von Präsident kratzt an der Syph ab oder was! Wen kratzt das? Einer weniger! Wen – kratzt – das!?“
Kurt war Künstler. Im Grunde tat er das nur für sich selbst. Seine schlaffe Gesichtshaut hatte sich wieder mit Blut gefüllt und spannte straff, glänzend und von Äderchen durchzogen um seinen Schädel. Er stampfte in Richtung der Treppe davon und ließ Le Niane geschlagen zurück. Karin sah aus wie eine frustrierte alte Hausfrau, deren trunksüchtiger Gatte sie einmal mehr vor den versammelten Feiertagsgästen gedemütigt und bloßgestellt hatte. Wir standen hier mitten in einem Nobelrestaurant, in dem bestimmt nur Entscheidungsträger der höchsten Ebene bewirtet wurden und dessen Luxus die Verhältnisse der gesamten Sahelzone verhöhnte, und allmählich braute sich im Hintergrund eine dunkle Wolke von Kellnern zusammen, die uns offenbar darauf hinweisen wollten, dass unsere Anwesenheit hier nicht länger erwünscht war.
„Bitte“, sagte Karin leise, „geht ihm nach. Ich erledige das hier schon.“
Henning und ich hechteten mit wenigen Sätzen zur Treppe und schnappten uns Kurt, der sich gerade umgedreht hatte, um ein kleines Dacapo zu geben. Henning versuchte es auf die lässige Tour, legte Kurt seinen Arm um die Schulter und meinte: „Hey, wenn's wurst ist, ist's wurst, oder? Gehen wir einfach noch wo anders was trinken.“
Henning war vielleicht zehn Jahre jünger als Kurt und wie sie da so am Treppenabsatz standen, Hennings bleicher Arm um Kurts Poloschulter, waren sie die fleischgewordene Rechtfertigung aller üblen Witze, die je über Männer erzählt worden sind.
„Weißt eh“, rülpste Kurt selbstgefällig, „die depperten Neger sind mir sowieso wurscht. Aber hin und wieder muss man der faulen Brut halt den Marsch blasen.“
Henning lachte. Seinen üblichen Witz zum Thema „blasen“ sparte er sich allerdings. Er wusste gut genug, dass wir noch nicht mit heiler Haut aus dieser Geschichte draußen waren.
Kurt ließ sich gnädig von Henning davon abhalten, in die Arena zurückzukehren, um dem dummen Gesindel da unten noch einmal ordentlich in den Arsch zu treten und wir rempelten einander am Pool vorbei in Richtung des Hotels: Hätte jemand unsere kleine Prozession beobachtet, wäre er sicher zu dem Schluss gekommen, dass Henning und ich Revolver unter unseren Hemden versteckt hatten und Kurt entführten. Unsere Flucht aus der Peinlichkeit als Szene aus einem Shaft-Film: Ein langer Dandy und ein glupschäugiger Dickwanst schubsen einen alternden Tennisprofi über eine matt schwarze Holzbrücke. Halb offene Hemden bauschen sich lässig in der Brise, Palmen neigen vor dem abendlichen Himmel ihre zerfledderten Häupter. Im Hintergrund der Ozean. So schön hätte das sein können.
Leider gab es im ganzen Hotel keinen einzigen, halbwegs shaft-mäßigen Schwarzen, der uns den Gefallen getan hätte, uns im Namen von Recht und Ordnung zu erschießen, und die schützende Illusion brach zusammen. Aber es war egal. Das Le Niane lag außer Sichtweite und fürs Erste waren wir in Sicherheit. Wir setzten uns in die Lobby, ließen uns Drinks bringen und warteten auf Karin. Kurt klimperte mit den Eiswürfeln in seinem Whiskeyglas und erzählte von seinen Aufenthalten in Afrika. Henning saß ungefähr so lässig in seinem antikledernen Klubsofa, als hätte er auf einem heißen Grill Platz genommen, und ich bedauerte sehr, dass wir Kurt nicht wirklich entführt hatten. Dann hätten wir ihm einfach ein paar in sein altes Maul semmeln können und Ruhe gehabt. So waren aber eigentlich wir die Gefangenen. Leider hatte ich vergessen, dass dieser Teil des Abends bereits unser privates Vergnügen war und es deshalb zwischen mir und Henning nicht unbedingt ein verbindendes „Wir“ geben musste.
„Ach übrigens, Chi“, meinte Henning, als wollte er unser fröhliches Geplauder in Gang halten, „wolltest
du dir nicht von Kurt den Pajero überschreiben lassen?“
Ja, das wollte ich. Und Henning wollte mich mit Kurt und meinem Pajero-Problem hier sitzen lassen.
„Ich habe schräg hinter der Rezeption eine Hertz-Filiale gesehen. Vielleicht checkt ihr das lieber jetzt noch, morgen wird es wahrscheinlich ein bisschen stressig.“
„Danke Henning.“
„Gern geschehen.“
„Was ist das für eine Sache mit dem Wagen?“ Kurt tauchte schnaufend aus den Tiefen seines voluminösen Fauteuils auf.
„Ich häng noch ein paar Tage hier an. Dafür bräuchte ich den Wagen.“
„Tja,“ lachte Henning, „die Jugend hat noch Energien. Ich werd jetzt mal abziehen ...“
„Tattergreis!“, krächzte Kurt Henning hinterher und ich blieb allein als Kurts Gefangener zurück.
Henning hatte die diplomatische Verantwortung, Kurt nachzubetreuen, auf mich abgewälzt und erwartete nun, dass ich ihn – unseren wichtigsten Kunden – mit meiner Schleimerei beglückte. Denn der Kunde ist König und wenn er sich bei dir nicht wohl fühlt, geht er zur Konkurrenz. Und wenn Kurt der Kunde ist, reißt er dir vorher den Schädel ab und scheißt dir in den Hals. Zumindest aber schwärzt er dich in der ganzen Branche an und du bist erledigt. Also plauderte ich ganz routiniert und sachlich weiter, schließlich war es auch meine kleine Firma, um die es hier ging.
„Henning hat recht. Mit den ganzen Carnets für den Zoll – das braucht morgen ewig. Kannst du die Sachen für die Ummeldung unterschreiben?“
„Keine Ahnung von diesen Autogeschichten. Dafür gibt's Karin.“ Kurt machte eine kleine Pause und sah mich nachdenklich an. Sein Gesicht war wieder schlaff, er hatte Tränensäcke wie Hängematten und seine Augen waren glasig. So schön sind 30 Jahre Branchenerfahrung anzusehen. „Aber das mit dem Wagen ist eine Mordsidee. Brauchst du unbedingt den Pajero?“
„Na ja, er ist halt doch noch billiger als der Synchro
und ich brauch ihn eigentlich nur für mich und Susanne. Da ist der schon fast zu groß ...“
„Ah ja, in jedem Hafen eine Braut, was?“
„Wie man sich bettet, so liegt man.“
Kurt lachte. Das war genau sein Stil und ich hatte mit meinem prostataschwachen Männerton das Türchen zu seinem Herzen geöffnet.
Kurt lehnte sich vertraulich vor und schnaufte mir ins Gesicht.
„Du bist doch ein harter Typ, oder?“
„Ich?“
„Klar, du. Was man so hört jedenfalls. Ich sag dir, was wir machen.“
Mich hätte mehr interessiert, was Kurt da so gehört hatte.
„Weißt du, ich war früher oft mit meiner Frau hier.“ Er zündete sich ein Zigarillo an. „Investitionsgeschäfte, so Sachen. Und da hab ich eins gelernt.“ Kurts Gesicht hing knapp vor meiner Nase und ich sah durch die stinkenden Schwaden hindurch die feinen Schweißperlen auf seiner Stirn. Er war ein kranker Mann. „Wenn du Lust hast, hier etwas abzuknallen, kannst du das auch machen.“
So etwas hatte ja kommen müssen. Trotzdem war ich ein bisschen überrascht.
„Ich meine nicht das beschissene letzte Spitzmaul- nashorn oder ein krankhaft seltenes Okapi oder wie diese Viecher heißen“, fuhr Kurt fort. „aber wenn du einfach sehen willst, wie sich irgendein dreckiges Biest in seinem Blut wälzt, nachdem du ihm sauber ins Auge geballert hast – Bienvenue au Senegal!“
„Besonders legal ist das aber nicht, schätze ich?“
„Legal“, grunzte Kurt verächtlich, unsere junge Männerfreundschaft hatte einen empfindlichen Schlag erlitten. Ich war ein kleiner Spießer und wurde belehrt: „Legal! Du selber hast ein paar Seiten vom senegalesischen Gesetzbuch in deinem Portemonnaie. Sag, was du haben willst, und du wirst es hier billiger kriegen, als du denkst. Die Leute im Sahel haben nicht unbedingt die Wahl. Alles klar?“ Ja, das war klar. „Armut verpflichtet, verstehst?“ Kurt lachte. Er war jetzt mein rauer, väterlicher Freund und eröffnete mir seine köstliche Welt voll Herrschsucht, Schießpulver und Testosteron.
„Pass auf, wir schnappen uns den Pajero und fahren zwei Tage in den Norden jagen. Des is doch a G'schicht, oder?“
„Wow, also ... das ist eine verdammt coole Idee ...“
„Sag ich ja.“
„Na ja, aber ich möchte mit Susanne einiges ins Lot bringen und sie ist nicht so der Typ fürs Jagen. Ich meine, kannst du nicht den Synchro nehmen?“
Kurt lehnte sich wieder zurück. Kopf ab, Hosen runter, vollgeschissen der Hals; das schien sein Blick zu sagen. Er hatte mich zur Jagd eingeladen, ich hatte abgelehnt. Henning hätte mich umgebracht.
Von der Poolseite her sah ich Karin die Lobby betreten und winkte ihr eifrig zu. Sie sah stinksauer aus und stampfte zu uns herüber. Immerhin lenkte sie Kurt von mir ab.
„Das war ein teurer Spaß“, meinte sie schroff.
Kurt verdrehte sich den Hals und gierte Karin mit verwaschenem Blick an. Er glotze auf ihre Brüste, die sich deutlich unter der Bluse abzeichneten, musterte ihre Beine und starrte ihr schließlich geradeaus zwischen die Schenkel. Sie sah ihn nicht einmal an.
Kurt hingegen hatte sich seinen Appetit geholt, sagte: „Gut, Leute.“, und wuchtet sich hoch. „Ich hau mich noch in die Wanne.“ In Karins Richtung fügte er ein unzweideutiges „Bis später“ hinzu.
„Gute Nacht, Kurt“, giftete sie zurück.
Kurt verursachte ein Geräusch, das seinen Ursprung sowohl in einer Blähung als auch in einem versoffenen Seufzen hätte haben können und wankte in Richtung der Aufzüge davon. Als ich ihn so ziehen sah, hoffte ich, dass er betrunken genug war, um die ganze Jagd-Schnulze morgen vergessen zu haben.
„Gehst du mit was trinken?“, fragte Karin unvermittelt. Sie sah müde aus. Aber sie war hübsch.
„Ja, gern. Vielleicht sollten wir dem Le Niane noch eine Chance geben.“
„Sehr witzig, Chi. Wenn diese Jungs da unten nicht wüssten, dass man in so einer Kneipe an einem Skandal ganz gut verdienen kann, hätten sie Kurt wahrscheinlich in einen Topf gesteckt und gefressen.“
„Toubab in Schnapstunke.“
Karin lachte. „Muslime essen kein Schwein. Das hat unseren Kurti gerettet.“
Ich lachte auch.
„Bevor wir gehen, kannst du mir noch schnell die Formulare für die Umbuchung vom Pajero unterschreiben? Hertz ist hier gleich ums Eck.“
„Ach ja, du hängst ja Urlaub an.“
Ich war mir nicht sicher, ob Karin von Susanne wusste.
„Ja“, sagte ich, „kommt leider selten genug vor.“
Der schwarze Hertz-Mann war Bürokratieartist. Eine Diva. Er praktizierte die Bearbeitung von Kundenwünschen als gefinkeltes Unterwerfungsritual und bescherte uns eine unvergessliche Stunde, in deren Verlauf er unsere Wünsche abfragte, nicht verstand, seine Zuständigkeit in Zweifel zog, widerwillig nach Formularen kramte, stempelte, durchstrich, erregt mit unseren Dokumenten fuchtelnd telefonierte, unwirsch alle unsere Handlungen berichtigte und abschließend ein sattes Trinkgeld verlangte.
Am Ende der Tortur hatte ich den Wagenschlüssel und die Papiere des Pajero und trug gemeinsam mit Karin die Last zahlloser Flüche, mit denen die Hertz-Diva uns wegen Trinkgeldverweigerung bedacht hatte.
Diese neuerliche Farce hatte die nachmittägliche Komplizenschaft zwischen Karin und mir verstärkt und wir verließen den Ort des finsteren Car-Rental- Voodoo unter kindischem Gekicher. Die Stimmung war gut, Kurts Anfall schien vergessen und ich hatte meinen Wagen. Eigentlich hätte ich mich auf mein Zimmer zurückziehen und dankbar für den glücklichen Verlauf meiner Pläne einschlafen sollen. Aber ich bummelte mit Karin durch die Lobby, auf der Suche nach einer Bar. Der Teppich schluckte unsere Schritte, unser lockeres Geplauder versickerte zwischen Arrangements aus Grünpflanzen und folkloristischen Skulpturen. Es war, als wären wir gar nicht hier.
Die Bar, in der wir schließlich landeten, hatte zwei Vorteile: Eine überdachte Terrasse bot einen hübschen Ausblick auf den nächtlichen Place de l'Independance und wir waren hier noch nicht mit Kurt gesehen worden. Das Meer war nicht zu hören, dafür das Brummen von Dakar.
Karin ließ sich in einen Sessel plumpsen und lächelte. Ein Chef wie Kurt hat auch seine Vorteile: Er schweißt sein Team zusammen und stattet seine Sklaven mit reichlich Gesprächsstoff aus.
Wir bestellten Gin Tonic, die Drinks klingelten in unseren Händen und ich fragte Karin, wie das bei RTS1 denn eigentlich gelaufen war. Karin meinte, dass sie ganz einfach den fertigen Beitrag bei Monsieur le Directeur Koné abgeliefert hatte und Cola nur mit Bedauern akzeptieren hatte können, dass das Thema Senghor unseren kleinen Film gekippt hatte. Einzig Kurt war wieder einmal nicht klar zu machen gewesen, dass es keinen Grund gab, sich aufzuregen. Er hatte sich in seiner Ehre gekränkt gefühlt. Kurt wollte – Karin holte ein wenig aus und plauderte aus dem Nähkästchen – gegenüber Cola und besonders gegenüber seiner reichen Frau und ihren Freunden als der Mann
dastehen, der es auch unter schwierigsten Bedingungen fertigbrachte, einen glatten Werbefilm tagesaktuell und als Nachrichtenbeitrag auf Sendung zu bringen. Er, der es nie zu mehr gebracht hatte als zum exzentrischen TV-Produzenten, hatte den unstillbaren Drang, sich vor den Lobbyisten internationaler Banken, mit denen seine Frau berufs- und standesbedingt verkehrte, als Enfant terrible und „Monsieur-alles-ist-möglich“ aufzublasen. „Kurt besteht zu jeweils 50 Prozent aus Profilierungsneurosen und Alkoholsucht“, schloss Karin ihre Darstellung ab.
„Das ist ja sehr standesgemäß für einen Produzenten“, meinte ich. Offenbar wollte Karin schimpfen und da war mir das Thema Kurt ganz recht. „Aber abgesehen davon, hast du eine Ahnung, wieso er so ein ...“, Vorsicht, Vorsicht, „... wieso er oft so daneben ist?“
„Du meinst, wieso er so ein Arschloch ist?“
„Na ja, Rassist, Psycho, Arschloch, was du willst.“ Scheiß auf die Vorsicht. Das Gespräch lief doch gut.
„Ich weiß nicht. Ich glaube, Kurt ist in dieser Hinsicht ein Gesamtkunstwerk.“
Ich lachte, Karin guckte in ihren Drink. Sie war
vielleicht fünfundzwanzig, jedenfalls ein bisschen jünger als ich, und mit allem, was sie bisher getan hatte, hatte sie sich als junger, tougher Medienprofi präsentiert. Aber jetzt saß sie da und überlegte, ob sie ordentlich Tratsch ablassen und – ganz schnatterndes Gänschen – eine saftige Ladung übler Gerüchte über ihren versoffenen Chef und Lover auskippen sollte. Ich machte mich zu einem großen Ohr und sie erzählte.
Hinsichtlich Gänschen hatte ich mich allerdings getäuscht. Karin brachte mit ruhiger, harter Stimme ziemlich hässliche Geschichten vor.
„Kurt hat einen Haufen Probleme, aber seinen psychotischen Hass auf alle Farbigen führt er auf eine Sache zurück, derentwegen ich mich wahrscheinlich umgebracht hätte. Aber Kurt ist da nicht so. Willst du's hören.“
„Denke schon.“
„Na gut. Vor rund zwanzig Jahren – Kurt war ein junger findiger Dokumentarfilmer – hat sich in Marokko irgendwo bei Safi ein ziemlich abgefahrener Surfspot gebildet. Damals Anfang der 80er war Skaten und Surfen in Europa gerade mal wieder hip und Kurt ist mit seiner ersten Frau da runtergefahren und hat an einem Europa-Afrika-
Film gedreht, in dem es um Berührungspunkte abseits der bekannten Erste-gegen-Dritte-Welt- Klischees gehen sollte; die trendige Jugend vereinigt sich – so was in der Art. Das Ganze dürfte ein recht unübersichtliches Surfer-, Hippie-, Traveller-Ding gewesen sein, jedenfalls war meist Party.
Eines Nachts knapp vor der Abreise nach Wien wurde dann Kurts Frau am Strand von fünf oder sechs dunkelhäutigen Jungs vergewaltigt. Kurt lag direkt daneben, nur mitgekriegt hat er es nicht, so besoffen und bekifft war er. In Wien hat sie es ihm dann erzählt und ihn noch am Flughafen verlassen.“
„Scheiße.“
„Allerdings.“
„Weißt du irgendwas über sie?“
„Nein. Damals war ich fünf und glücklich genug, Kurt nicht zu kennen.“
„Und seither lässt er Jean-Marie Le Pen wie den reinsten Multikultischwafler aussehen?“
„Gelegentlich flippt er aus. Angeblich hat er beim Jagen mal einen Mauretanier angeschossen. Die, die es gesehen haben, denken, es war Absicht.“
„Scheiße ...“ Ich muss ziemlich belämmert aus der Wäsche geguckt haben.
„Alles ok?“
„Kurt hat mich vorhin zum Jagen eingeladen.“
„Wow. Was hast du gesagt?“
„Ich habe abgelehnt.“
„Das war ganz schlau von dir.“
„Zuerst dachte ich ja, dass es eher nicht schlau war. Ich meine, wichtiger Kunde und alles, lädt dich zur Jagd ein ... da kommt eine Ablehnung eher schlecht. Aber ...“
„... Stress mit Körperverletzung kannst du nicht brauchen.“
Ich hatte gerade melodramatisch an meinem Gin Tonic genippt und der fuhr mir jetzt ein wie heiße Lava.
„Du weißt von meiner Vorstrafe?“
Karin sah mich an wie einen kleinen Buben, der die Augen schließt und denkt, er würde dadurch unsichtbar. „Jeder weiß das, Chi. Wahrscheinlich hat dich Kurt eingeladen, weil er dachte, Hennings Knacki wäre bei seiner Vorstellung von Jagdwild bestimmt hilfreich.“
Karin war eine sehr angenehme Tischdame und es tat mir herzlich gut zu hören, dass ich für einen gewalttätigen Knacki gehalten wurde, mit dem man losfahren konnte, um auf Schwarze zu schießen. Ich
habe es nie zu ausreichend Flüssigem gebracht, um einen Psychiater aufzusuchen, aber auch ohne Therapiesitzungen war mir klar, dass ich mit meiner Vorstrafe auch einen Minderwertigkeits- komplex ausgefasst hatte. In der ersten Zeit hatte ich ernste Probleme damit und was ich auch tat, es erschien mir schlechter, als alles, was ein Unbescholtener je anfangen konnte. Dabei hatte ich nichts getan, als in einem unbesonnenen Moment kein Maulheld mehr sein zu wollen. Dummerweise hatte ich dem anderen Kerl dabei eine derart komplizierte Jochbeinsplitterung verpasst, dass die Folgen als bleibender Schaden qualifiziert worden waren. Da war außergerichtlich nichts zu machen gewesen.
„He, Chi, ich wollte dich nicht kränken, ok?“
„Trotzdem autsch!“
„Wahrscheinlich ist das ohnehin Blödsinn. So arg ist Kurt auch wieder nicht.“
„Du hättest ihn vorhin hören sollen ...“
„Komm schon, vergiss es. In Wahrheit ist es egal, ob du jemandem auf die Nase gehauen hast oder was. Ich glaube, du bist ein feiner Kerl. Wenn dich das tröstet.“
Ja, das tat es.
„Ein feiner Kerl zum Negertotschießen?“
Karin lachte. „Mir wäre ein feiner Kerl zum Gin-Tonic-Trinken lieber.“
Also tranken wir Gin Tonic und Karin erzählte mir von ihren Karrierevorstellungen, die sich mit denen aller anderen Produktionsassistentinnen deckten und darauf hinausliefen, dass sie genug Erfahrung sammeln wollte, um in die Programmgestaltung eines großen Senders oder Medienkonzerns aufsteigen zu können. Ich zimmerte ein bisschen an meiner Aura des gebrochenen Helden, der zwar zu Höherem geboren aber von seinem Temperament verhindert war, und mit jedem Schluck aus meinem Longdrinkglas wurde der Teil in mir wacher, der Karin in ihrer drallen, kompakten Art ziemlich sexy fand. Wir lachten viel und herzlich, machten uns über Kurt und Henning lustig und Karin ließ sich gerne auf jenen unernst charmanten Tonfall ein, der sich immer dann ergibt, wenn zwei Leute so tun, als wollten sie nichts voneinander. Mit unserem dritten Gin Tonic machten wir uns auf den Weg zur Brüstung der Terrasse, wo uns ein Abend empfing, der selbst Michael Douglas und Kathleen Turner in „The War of the Roses“ wieder zusammengebracht hätte. Der harmlose Teil unseres Flirts war vorbei. Unter uns schnurrte das dunkle Dakar wie eine rollige Katze und über uns
dehnte sich weich und weit der Sternenhimmel Afrikas. Karin lehnte sich an das noch immer sonnenwarme Geländer und wie zufällig fing ich den Duft ihrer kurzen blonden Haare ein. Inmitten der fremden, strengen Gerüche von Dakar nahm sich dieser Duft wie ein Wunder aus und mein wankelmütiges Herz schlug nur noch dafür, Karin zu berühren und mit meinen Lippen und meiner Nase ihren Körper zu erforschen. Karin kam mir mit einer etwas konkreteren Auslegung meines Ansinnens zuvor und schob mir ihre Hand in die Hose, wo sie, was sie suchte, in vorfreudiger Erregung fand.
In ihrem Zimmer gab es keine verklärten Blicke, keine neckischen Küsse, kein scheues Verschwinden im Bad; sie öffnete meine Hose und ließ mich in den Genuss der Kunstfertigkeiten kommen, die sie sonst an Kurt verschwendete. Sie kniete vor mir am Boden und arbeitete mit kräftiger Hand an meinem Schwanz, als ginge es um Samengewinnung im industriellen Maßstab. Ich habe nichts gegen eine etwas derbere Note beim Sex, aber hier und jetzt hatte ich das Gefühl, wir hätten das genauso am Set eines Pornodrehs abziehen können und das hielt ich für falsch. Ich wollte Entdeckungsreisender sein und Karins Körper im sanften Mondschein erforschen. Ich nahm Karin an den Schultern, zog sie hoch, bis sie aufrecht vor mir stand, und lächelte sie an. Ich streifte ihr sacht die Bluse ab, öffnete ihren BH und zog sie Stück um Stück aus, bis sie splitternackt vor mir im Halbdunkel stand. Durch das Fenster drang das matte Licht der nächtlichen Stadt und Karin sah sehr schön aus. Ihre Haut war glatt und schimmerte, ihre Brüste waren groß und ein bisschen weich und sie hielt ihren Bauch eingezogen; offenbar hielt sie sich für zu mollig.
Ich schlüpfte aus meinen Kleidern und begann,
ihren Körper zu küssen, ich roch an ihr, streichelte ihre Scham und hörte auf ihren Atem. In einem tiefen Zug sog sie die volle Abendluft ein und wo sie zuerst schamhaft und verkrampft die Muskeln angespannt hatte, wölbte sich jetzt ihr fröhlicher Bauch, rund und fest, wie er war. Sie nahm meinen Kopf in ihre Hände, strich über mein kurzes Haar und drängte mich sanft zu jenen Stellen ihres Körpers, an denen ihr meine Zunge besonders willkommen war.
Am frühen Morgen huschte ich in mein Zimmer zurück und noch bevor die Sonne ganz am Himmel stand, hatte ich unser gesamtes Equipment in doppelte Plastiksäcke aus der Hotelküche verpackt und reisefertig gemacht. Ich fühlte mich gut. Karin hatte mir zum Abschied einige Zärtlichkeiten ins Ohr geflüstert, die mich stolz und fröhlich machten und obwohl die qualvollen Mühseligkeiten der Zollformalitäten vor mir lagen, freute ich mich auf den Tag.
Ich ging zu Henning hinüber, der mich aus ungläubigen, wässrigen Augen anstarrte, und erklärte ihm, dass ich bereits jetzt zum Flughafen fahren und das Equipment einchecken würde. Schließlich wurde die Zollabfertigung immer langwieriger, je näher der Abflug rückte. Henning schabte sich verständnislos die Eier und roch genauso, als hätte er gestern die Minibar leer gesoffen, um seine Angst vor eventuell erworbenen Geschlechtskrankheiten zu vergessen.
„Und ich?“, fragte er.
„Ich bin spätestens zu Mittag wieder da. Dann führ ich euch noch raus.“
„Ach so, gut.“
„Ich ruf dich an, wenn ich fertig bin“, sagte ich halb am Weg zur Tür. „Und so um zwei treffen wir uns dann mit den anderen in der Lobby, ok?“
„Ok. Kurt kannst du aber ohnehin vergessen. Der bleibt auch hier.“
Ich blieb stehen. Die Erinnerung an die gestrige Großwildjäger-Farce schoss mir über das Rückenmark direkt in den Schädel.
„Hat er dir das auch erzählt?“
„Mhm.“
„Wahnsinn. Der Psychopath möchte jagen ...“
Henning hockte sich neben das Bett und kramte in einem altertümlichen Reisenecessaire nach Aspirin. Die Unterhose war ihm über den halben Hintern gerutscht und ich drehte mich zum Fenster. Ich wollte mir die Erinnerung an Karins ungleich appetitlichere Rückseite nicht verderben.
„Kennst ihn ja“, grunzte Henning in die Tiefen seines Kulturbeutels.
Ich stand am Fenster und sah durch einen Spalt im Vorhang hinaus. „Sag mal, hat er dich auch gefragt, ob du mitfahren willst?“
„Nein, warum?“
„Mich hat er gefragt.“
„Und?“
Ich drehte mich um. Henning saß am Bett und rupfte die Aspirinschachtel auf.
„Vielleicht war's nicht so clever, aber ich habe ihm abgesagt.“
„Mann! Warum?“
„Er hat angeblich mal einen Schwarzen abgeknallt.“
Hennings Gesicht war verschwollen, er sah mir nicht in die Augen. „Ja, echt? Scheiße, hat er mir gar nicht erzählt ...“
„Hat er dir erzählt, dass er jagen gehen wollte?“
Henning drehte sein Aspirin zwischen den Fingern, sein Blick heftete sich auf den Boden. „Ja, sag ich doch ...“
„Dass er mit mir jagen gehen wollte?“ Ich dachte nicht mehr an Karins Hintern. Ich dachte an ihre Worte: Hennings Knacki.
Henning schwieg und glotzte seine Zehen an.
„Hat er?“
„Ja. Er denkt halt, du bist ein harter Typ oder so ...“
„Und darum fragt er mich, ob ich bei so einer Scheiße mitmachen möchte!?“ Ich spürte, wie das Blut meine Ohren rot werden ließ.
„Was weiß denn ich. Krieg dich wieder ein, ja.“ Henning wollte ins Bad verschwinden, aber ich trat ihm in den Weg.
„Ich krieg mich nicht ein, klar. Und weißt du warum? Manche Leute hier sagen ‚Hennings Knacki’ zu mir.“
„Was?“
„Ja, Henning. Und sie wissen, dass ‚Hennings Knacki’ wegen Körperverletzung dran war.“
Henning stand plattfüßig in seinen Unterhosen vor mir. „Jetzt scheiß dich nicht an. So was kommt halt mal ans Licht ...“
„So was kommt ans Licht!? Du hast es ihnen erzählt, du Arschloch!“
„Schrei mich nicht an! Ist doch eh jedem schnurz!“
„Schnurz?! Der Typ glaubt, ich gehe mit ihm Negerkillen!“, brüllte ich und stieß Henning zurück aufs Bett. Henning schwabbelte rücklings auf die Matratze und stülpte mir überrascht seine Augen entgegen. Dann schärfte er auf meine geballte Faust um. Er hatte keine Angst. Er hätte mich angezeigt.
Der Morgen war warm und strahlend. Vom Meer wehte eine leichte Brise frische atlantische Luft heran, über der schimmernden Küste kreisten Möwen und der Verkehr war die Hölle. Mein Pajero war gegen praktisch alles versichert, was einem mit einem Auto passieren konnte und trotz meines geringen Vertrauens in die senegalesischen Versicherungsdienstleister waren sie angesichts der Autolawine, deren Teil ich nun war, mein einziger Trost. Als Beifahrer war mir der Verkehr in Dakar wirr und nervend erschienen. Als weißer Lenker empfand ich ihn als tödliche Bedrohung. Taxis, fensterlose Minibusse und völlig verrostete Pkw rumpelten hupend und jenseits aller Ordnung über ein Meer aus Schlaglöchern. Händler, Kinder und Bettler rannten kreuz und quer über die Straßen und drängten an meine Seitenfenster heran, als lauerte unter den Rädern eines zwei Tonnen schweren Geländewagens etwas weit Besseres als Verstümmelung oder Tod. Aber es war mir egal. Ich war Europäer, mein Wagen war stabil und mein Beifahrer der blanke Hass. Henning hatte mich verraten. Wahrscheinlich hatte er sich bei jeder Gelegenheit damit gebrüstet, dass er mit einem
gefährlichen Gewalttäter zusammenarbeitete. Für einen echten Loser wie ihn war sogar das noch ein Imagegewinn. Ich stellte mir vor, wie er – als richtig dekadenter Künstler und Lebemann – mit Kurt bei einer Zigarre zusammengesessen war und mit ihm vereinbart hatte, dass Kurt sich ‚Hennings Knacki’ gerne mal zum Jagen ausborgen konnte. „Chi ist eine harte Sau, Kurt“, hörte ich ihn sagen. „Frag ihn mal. Das ist bestimmt ein Spaß für ihn ...“
Ich hatte versucht, mich zu beruhigen, indem ich mir meine Route auf dem Straßenplan von Dakar genau einprägte: Rue Carnot bis zum Place de l'Independance, dort rechts zur Avenue G. Pompidou, weiter nach links zur Avenue du Président Lamine Gueye, bis ich nach einer Bahnbrücke auf die Autoroute – Senegals einzige, kaum acht Kilometer lange Autobahn – auffahren konnte. An deren Ende ging es links in Richtung Yoff, wo der Flughafen lag. So weit die Theorie. Bereits bei der Einfahrt in die Avenue G. Pompidou begann der Ärger, denn anders als auf meinem Plan hieß die Avenue G. Pompidou nicht Avenue G. Pompidou. Von weit hinten in meinem Gedächtnis dämmerte mir eines der ersten Produktionsmails ins Bewusstsein, in dem darauf hingewiesen wurde, dass im Senegal mit jedem Präsidentenwechsel die Namen der wichtigsten Straßen geändert wurden. Der aktuelle Präsident war erst seit Kurzem im Amt, weshalb alle Teammitglieder aufgefordert wurden, sich mit möglichst aktuellen Plänen auszustatten. Unser Plan datierte von 1986, also kämpfte ich mich aufs Geratewohl durch Dakar.
Gerade als ich begonnen hatte, mich ein wenig
sicherer zu fühlen, wurde ich in einen mehrspurigen Betonkanal gespült: die Autoroute von Dakar.
Wie ein löchriges Band aus Asphalt lag sie auf ihren Pfeilern über der Stadt und führte geradewegs nach Norden. Links und rechts der sandigen und holprigen Fahrbahnstreifen waren übermannshohe Mauern aus Sichtbeton errichtet worden, vermutlich um zu verhindern, dass brennende Unfallautos von der Autobahn direkt ins Wohngebiet stürzen konnten. Auf der Fahrbahn selbst waren Taxis, enorme alte 18-Tonner von Renault, Motorräder, praktisch verkehrsuntaugliche Pkw und mein Pajero in eine Art Krieg um die am wenigsten beschädigten Fahrbahnabschnitte verwickelt. Dazwischen rasten die öffentlichen Schrottbusse permanent spurwechselnd auf das Jenseits zu. Zahlreiche, bis zur Unkenntlichkeit zertrümmerte und verkohlte Kleinbusreste legten am Straßenrand Zeugnis davon ab, wie oft den Versuchen der vollgedröhnten Fahrer, sich und all ihre Insassen in den Tod zu chauffieren, Erfolg beschieden war.
Mir trat trotz Klimaanlage der Schweiß auf die Stirn und jedes Mal, wenn eines der rostigen, löchrigen
Gefährte unvermittelt an meinen Wagen heranschwenkte, hatte ich für einen grellen Augenblick das Gefühl, meine Beine wären nur Sekundenbruchteile davon entfernt, in einer infernalischen Karambolage zermalmt zu werden. Mein Kopf war wie leer gefegt und jede Faser meines Körpers darauf konzentriert, den Aéroport Léopold Sédar Senghor lebend zu erreichen.
Noch in der schlecht klimatisierten Halle des Flughafens genoss ich still das Wunder meiner Unversehrtheit. Das Equipment, der Wagen, meine Beine – alles war heil geblieben und ich begab mich federnden Schrittes zu den Zollschaltern. Es war wenig los, das Flughafenpersonal war angesichts des tragischen Ereignisses von moderner Ernsthaftigkeit und da außer mir kaum jemand für die Nachmittagsflüge einchecken wollte, ging meine Sache relativ rasch vonstatten. Ein junger, gut aussehender Senegalese in einer strengen, sauberen Uniform prüfte meine Papiere, tippte mit einem Finger die Angaben vom Carnet in den Computer ein und schien zwischendurch mit ernstem Blick auf irgendetwas zu warten. Wir standen einander gegenüber, hinter mir dehnte sich die große, schwüle Eingangshalle, der Beamte strich gelegentlich die Blätter der Zollbescheinigungen unserer Ausrüstung glatt. Nichts geschah, Zeit verging. Und langsam sickerten die Gedanken, die der Wahnsinn der Autoroute aus meinem Kopf verscheucht hatte, in mein Bewusstsein zurück.
Henning. Wir beide hatten ohne Zweifel über alle Menschen, die wir jemals kennengelernt hatten, irgendwann einmal auch übelsten Tratsch verbreitet. Da gab es den Produktionsleiter, der so krasse Schweißfüße hatte, dass die einzige Frau, die nicht bereits in der ersten Nacht die Flucht ergriffen hatte, ihn gebeten haben soll, seine Füße während des Geschlechtsverkehrs in Plastiksäcke zu stecken. Oder Hennings letzter Kameraassi, der bei einem Fest so wahnsinnig betrunken war, dass er Henning irrtümlich ins Vorzimmer geschissen hatte. Oder die Schauspielschülerin, die mich total bekifft besuchen gekommen war, um mich für die Fortführung einer mehr als toten Affäre zu begeistern, indem sie sich ohne Kommentar in meinem Vorzimmer splitternackt auszog. Natürlich ohne zu merken, dass Henning und sein liebster Beleuchter vom Wohnzimmer aus das Spektakel beobachten konnten. Egal was, Henning und ich sorgten leidenschaftlich dafür, dass derartige Spitzenleistungen nicht in Vergessenheit gerieten.
Wie hatte ich also davon ausgehen können, dass es für Henning einen Unterschied machte, ob er mit mir über andere oder mit anderen über mich
herzog? Eine gute Geschichte war eine gute Geschichte und sicher hatte Henning die Lacher auf seiner Seite, wenn er von dem bescheuerten Assi erzählte, der irgendeinem Typen die Birne einschlägt, sich dabei die Hand bricht und dann auch noch hilft, den Kerl ins Spital zu bringen. Wofür man ihm folgerichtig eine Vorstrafe verpasst. Vielleicht hatte er aber auch wirklich mit meiner Gewalttätigkeit angegeben, um sich selbst ein bisschen wilder zu fühlen. Jeder möchte schließlich gerne mal jemandem aufs Maul hauen, nur scheuen die meisten Menschen völlig zu Recht die Konsequenzen. Dafür reden sie umso mehr darüber.
Wie es auch war, es war egal. Ich hatte Henning die Geschichte im Vertrauen erzählt. Ihm als meinem Partner, der wissen musste, dass ich nicht unbescholten war, aber auch ihm als meinem Freund, vor dem ich keine Geheimnisse hatte. Je länger ich in dieser Halle stand, allein mit meinen Gedanken, umso klarer wurde mir, dass ich nicht einmal mehr sein Partner sein wollte.
Beim Verlassen der Halle prallte ich in die sengende Hitze des Sahel. Absolut schattenfrei, staubig und verdreckt lag der Parkplatz vor mir. Der Tag war voll ausgebrochen, der morgendliche Dunst einem brennglasklaren Himmel gewichen. Ich hatte beinahe zwei Stunden mit diversen Formalitäten und Grübeleien verschwendet und im Pajero wartete mein Telefon mit 7 Anrufen in Abwesenheit und 3 Kurzmitteilungen auf. Die erste informierte mich darüber, dass ich drei weitere Nachrichten auf der Sprachbox hatte. Die zweite war von Karin und lautete „Vergiss es. Halt dich einfach von Kurt fern. Fährt um 15:00.“ Die dritte war von Susanne: „hi chi, heute 20:00 im medinoise, rue ousmane diéne 6 x 8. zahl für das taxi vom place de l'ind. nicht mehr als 800 cfa. s“
Ich hörte meine Box ab. Zuerst war Henning dran. Um 10:45. Er sprach sehr leise: „Jetzt hast du geschafft, du debiler Rammler ... verdammt ... warte ...“ Die Geräusche im Hintergrund ließen auf Meinungsverschiedenheiten schließen. „... komm ja nicht ins Hotel zurück. Ich fahr mit dem Taxi, du Arschloch! Du verdammtes Riesenarschloch.“
Dann gleich noch mal Henning. Diesmal von 09:15:
„Hast du Kacke im Schädel! Ich meine, was ist los mit dir? Im Puff heißt's noch ‚Uh, nein, ich kann doch Susanne nicht betrügen ...’ und dann nudelst du Karin einen rein! Scheiße, Chi, ich habe dich gewarnt: SIE GEHÖRT KURT! Kannst du dir vorstellen, was hier los ist? Seit dem Frühstück fliegen zwischen Karin und ihm die Fetzen. Verdammt noch mal. Keiner weiß, wie er das rausgefunden hat, aber immerhin möchte er dir ins Auge schießen. Ruf mich an, du Schwachkopf.“
Das schien sich ein wenig aufgeschaukelt zu haben.
Die dritte Nachricht war von Karin. 05:22. Ihre Stimme schmiegte sich in mein Ohr und ich konnte hören, dass sie mit dem Kopf unter der Decke telefonierte: „Chi, du Böser. Du lässt mich hier ganz allein liegen. Ich will dich wieder haben. Dicker, weicher Kuss. Wohin, kannst du dir aussuchen.“
Den konnte ich mir jetzt vermutlich abschminken.
Ich machte mich auf in Richtung Westen. Vom Flughafen führte eine wenig befahrene und überraschend gut ausgebaute Straße direkt zur Küste, zum wahrscheinlich westlichsten Punkt der afrikanischen Festlandmasse. Mein Wagen rollte vorbei an ansehnlichen Villen, Clubs und Bars und während in Dakar der offensichtliche Platzmangel das Bild beherrschte – alles war dort in Haufen übereinander getürmt: Waren, Häuser, in den öffentlichen Schrottbussen sogar die Menschen selbst –, lagen hier in Yoff die Anwesen locker in der hügeligen Küstenlandschaft verstreut, in der Ferne stand ein Leuchtturm. Es war nicht direkt hübsch hier, aber immerhin friedlich.
Ich hatte nicht die Absicht, ins Hotel zurückzukehren, um mir von Kurt das Auge ausschießen zu lassen. Ich wollte auch Henning nicht mehr sehen, bevor er abflog. Und ich würde Susanne erzählen, dass ich mit einer anderen Frau geschlafen hatte. Wenn die vergangene Nacht schon mein Leben verändern sollte, dann eben gründlich.
Ich folgte der Straße bis zu einem Ort, der in einer weiten Bucht lag, einem Häufchen Häuser unweit eines gewaltigen Club Med. Wenige hundert Meter vor der Küste lag eine kleine Insel. Ich hatte es nicht eilig und beschloss, mir das Dorf anzusehen und wenn möglich auf die Insel überzusetzen. Den Wagen parkte ich neben einem Touristenshop, in dem ein Weißer Trommeln und ähnlichen Ramsch verkaufte. Zwischen den eher folkloristisch als tatsächlich ärmlich wirkenden Häusern waren bunt bemalte Boote vom Strand hochgezogen worden, sandige Wege verliefen im Schatten ockerfarbener Mauern. Zum Meer hin öffnete sich ein übersichtlicher Platz, unter dem Dach der Äste eines ausladenden Baumes saßen Männer beim Tee zusammen. Ngor kam meiner Vorstellung von Afrika weit eher entgegen als das unübersichtliche Dakar. Für umgerechnet 80 Schilling konnte man zur Île de Ngor übersetzen, ein Angebot, das wohl kaum an Einheimische gerichtet war. Mir war der Preis egal und ich wurde mit einer Gruppe von rund 40 Weißen in ein hübsches, senegalesisches Fischerboot geschubst. Bloßfüßige, lachende Schwarze turnten zwischen den Sitzreihen umher
und machten Stimmung. Alle Frauen an Bord sahen très joli und rafet lool aus, ihre Männer wurden wegen ihrer sonnenverbrannten, roten Ohren aufgezogen. Alles war nice und bestimmt bon marché und ich wurde weitgehend in Frieden gelassen, weil es rentabler ist, sich an Gruppen zu halten. Rund um mich kicherten und fotografierten großteils übergewichtige Menschen, fleischige Arme wurden ausgestreckt – „Schau, da!“ –, die Schwarzen warfen Fischdärme und andere Leckereien in die Luft, um die Möwen zu spektakulären Flugmanövern zu bewegen. Gelegentlich kreischte jemand auf, wenn sich das Boot etwas weiter in ein Wellental neigte. Ich bin nicht sehr gerne Tourist.
Unsere Fahrt über die Wellen des atlantischen Ozeans war bereits nach 10 Minuten wieder zu Ende; immerhin: Niemand hatte kotzen müssen. Als einer der Letzten hüpfte ich ins flache Wasser einer hübschen, restaurantgesäumten Bucht und drückte mich am Strand herum, bis meine Herde mit aufmunternden Scherzen und afrikanischer Fröhlichkeit in die umliegenden Restaurants getrieben worden war. Etwas weiter entfernt dösten wenige Badegäste im Schatten ihrer Sonnenschirme. Sie lebten offenbar hier und blieben ebenfalls verschont. Zwischen zwei der Restaurants führte ein schmaler Pfad von der Bucht aus auf einen Hügel, dessen kahlen Gipfel man zwischen den Baumkronen üppig begrünter Gärten erkennen konnte. Ich folgte ihm, bis sich das Gelächter der weißen Bootsladung in der Ferne verlor und spazierte zwischen hohen Mauern aus gelbem Lehm und Naturstein bergauf. Subtropische Vegetation wucherte über die Mauern, vermutlich begrenzten sie die schattigen Gärten französischer Privathäuser. Wie eine Klamm schnitt sich der schmale Weg bergauf, über meinem Kopf schloss sich das Grün zu einem dichten Baldachin. Erst am
Ende der Steigung wurde der Weg wieder breiter, bis er sich nach einigen Metern in einem von dürrem Gras bewachsenen Plateau verlor. Ich trat aus dem Schatten der Bäume in den Wind und staunte. Der Ausblick warf die Frage auf, weshalb ich hier alleine war. Zum Meer hin fielen pechschwarze, kantige Klippen in den brodelnden Ozean ab, blickte man in die andere Richtung, lag einem das dunstige Cap Vert zu Füßen. Aus dieser Entfernung wirkte es exotisch, sauber und still. Auf dem Plateau befanden sich einige verwitterte Betonrohre, Ruinen von Eisengerüsten und morsche Holzkonstruktionen, die an Reckstangen erinnerten. Ich begriff erst nach und nach, dass ich mich auf einem ehemaligen Drillplatz befand. Strafgefangene, senegalesische Soldaten, Fremdenlegionäre – wer auch immer hier in der sengenden Sonne geschliffen worden war, hatte von der guten Aussicht vermutlich wenig gehabt.
Ich kletterte die Klippen zum Meer hinunter und setzte mich an den Rand eines großen Beckens, das die Gezeiten aus dem schwarzen Stein gewaschen hatten. Wenige Meter vor mir brachen sich die Wellen in strahlendem Weiß an den Felsen, Wasser schwappte in den Pool zu meinen Füßen und hielt ihn frisch und kühl. Ich zog meine Schuhe aus, rollte die Hosenbeine hoch und stellte meine käsigen Treter ins Wasser. Kurz erinnerte ich mich an Berichte über Bilharziose im Senegal, war aber sicher, dass einem diese hässlichen Würmer nur in süßem Gewässer die Füße durchbohrten. Außerdem war das hier bestimmt kein optimaler Lebensraum für träge Egel, auch meine Zehen fühlten sich in dem überraschend kalten Wasser nur kurze Zeit wohl. Also streckte ich mich nassen Fußes auf den abgeschliffenen Steinen aus und ließ mich von der Sonne bescheinen. Rund um mich war Afrika. Bisher hatte ich diesen Umstand nur als Belästigung wahrgenommen. Es war heiß, der Gestank meist unerträglich und die Menschen setzten mir mit ihrem Unwillen oder ihrer geldgierigen, folkloristischen Heiterkeit zu. Meistens hatte ich während des Drehens nicht einmal gewusst, wo
genau ich war, und das Einzige, was ich sehen konnte, waren Motive. Aber hier auf dieser winzigen Insel vor Ngor sah ich mir zum ersten Mal seit Langem einfach die Gegend an. Die karge Landschaft gefiel mir, ohne dass ich an Henning und mögliche Objektivwechsel denken musste, und als Binnenländer war ich dem Zauber des Meeres ohnehin schutzlos ausgeliefert. Keiner meiner Verwandten war als Berufsfischer im Kampf mit der See ums Leben gekommen, die Stätten meiner Kindheit waren von Springfluten und Wirbelstürmen verschont geblieben und ich hatte nie gesehen, wie Tonnen von vergiftetem Fisch zu Konserven verarbeitet wurden. Seit meinem ersten Urlaub in Griechenland – auf Geheiß meiner Mutter hatte ich mich damals gerade acht geworden dem ägäischen Meer mit einer Badehaube auf dem Kopf genähert – bedeutete das Meer für mich einfach nur Freiheit. Und auch heute noch nahm sich der Ärger, den ich mir eingebrockt hatte, im Angesicht des Ozeans lächerlich aus. Ich hatte mit einer Frau geschlafen und das konnte mich den Job kosten. So what? Mein Job war scheiße. Ich verbrachte meine Zeit umgeben von nichtsnutzigen, eitlen, zynischen, selbstherrlichen und rassistischen Medienidioten,
deren einzige Arbeit war, die Probleme fremder Leute zu filmen und die eigenen zu delegieren. Leider hatte mich die andauernde Gesellschaft dieser Idioten zu einem von ihnen gemacht und die Angst, ich könnte mir das bisschen Existenz, das mir geblieben war, auch noch versauen, ließ mich an Hennings Seite kämpfen, trieb mich in hässliche Kompromisse und hatte dazu geführt, dass ich Stagnation für die günstigste aller Entwicklungen hielt. Das Wasser floss in sanften Strudeln aus dem Pool zu meinen Füßen in den Ozean ab und erstmals seit Jahren beunruhigte mich die Aussicht auf Veränderung nicht. Vielleicht schickte mich Henning zum Teufel, vielleicht würde Susanne mich verlassen. Vielleicht freute ich mich sogar darauf.
Ich saß noch eine Weile am Ufer und sah zu, wie sich zu meinen Füßen die Wellen brachen. Als mein Telefon klingelte und ich Hennings Nummer sah, kam mir vor, ich hätte ewig nichts von ihm gehört.
„Scheiße, Chi. Wir haben wirklich ein Problem.“
„Hi Henning.“
„Du mich auch. Kurt ist eben hier abgerauscht und ich komme erstmals zum Denken.“
Ich sagte nichts. Henning war ganz ernst.
„Ich verstehe ja, dass du Karin punzieren wolltest,
aber Kurt ist jetzt mehr als heiß auf dich. Also eigentlich auf uns. Und, ich meine, du kennst den alten Wichser ja. Am Ende wird jeder glauben, wir hätten das mit dem Beitrag verbockt.“
„Weißt du, wohin Kurt gefahren ist?“
„In den Norden, glaub ich. Warum?“
„Ist er im Synchro unterwegs?“
„Nein, Karin wollte nicht, dass sein Jagdausflug in irgendeine Beziehung zu Golden Frames gebracht werden kann ...“
„Macht nichts. Find das Kennzeichen raus, dann fahr ich ihm nach und mach ihn kalt. Jagdunfall.“
Einen Moment lang schwieg Henning.
„Bist du krank? Bist du verdammte Scheiße nochmal krank?! Du ruinierst mich mit deiner Fickerei und dann verarschst du mich auch noch?! Ich scheiß auf dich, du Pavian! Ich scheiß auf dich!“
Ich saß noch immer am Ufer einer felsigen Bucht irgendwo vor Afrika, das Meer brach sich noch immer zu meinen Füßen, aber mein Leben kam mir gleich ein bisschen neuer vor. Trotzdem schrieb ich Henning noch eine short message: „kurt ist nur ein alter mann. scheiß dich nicht an und such dir endlich eine frau.“ Wie Susanne schrieb ich nur in
Kleinbuchstaben. Ich weiß nicht mehr, wer damit angefangen hat.
Nach einer Weile spürte ich trotz der kühlen Brise, die gelegentlich einen Gischtschleier über mich wehte, die Kraft der Sonne auf meiner Haut und beschloss aufzubrechen. Wenn ich schon ein neues Leben beginnen sollte, wollte ich mich nicht mit einem Sonnenbrand darin einrichten. Der Gedanke ließ mich lächeln. Nichts hatte sich verändert, aber ich fühlte mich besser. Allein das war es schon wert gewesen. Ich kletterte zurück auf das Plateau und kehrte dem offenen Meer den Rücken. Auf der dem Festland zugewandten Seite der Insel konnte ich im Schatten wilder Hecken jene Häuser erkennen, deren Gartenmauern den Weg hierher säumten, und machte mich auf zurück zur Bucht.
Der Sonnenuntergang war herrlich. Ich war die Küstenstraße von Ngor nach Dakar entlang gefahren, hatte am Straßenrand gehalten und war ausgestiegen, um zuzusehen, wie Sonne und Meer im Westen eins wurden. Das Wasser reflektierte das letzte Licht grün, orange, rot, schwarz und silbern, bis zu meinem Treffen im Medinoise hatte ich noch eine gute Stunde. Während des Nachmittags auf der Insel war ich weit weggedriftet von Henning und Kurt und Karin und auch von Susanne. Ich war ganz mit mir alleine gewesen und das hatte mir gut getan. Vielleicht ist eine abgeschiedene Bucht ein etwas zu romantischer Ratgeber, aber ich hatte beschlossen, mich nicht mehr zu verstellen. Ich hatte mich so daran gewöhnt zu lügen, dass ich sogar Karin noch etwas vorgemacht hatte, mit meinem zärtlichen Getue, obwohl sie mir egal war und ich ihr auch. Ich wollte nicht mehr für einen schmalen Assistentenlohn vor Leuten wie Kurt kuschen und Henning konnte genauso gut alleine ins Puff wackeln. Aber vor allem wollte ich keinen Mit- und keinen Ohne-Susanne-Modus mehr. Ich wollte Klarheit.
Die Sonne war verschwunden, ich setzte mich wieder in den Wagen und fühlte mich in jeder Hinsicht unbeschwert. Ich würde einfach mit Susanne reden, offen und gerade heraus. Vielleicht gelang uns ein neuer Anfang. Vielleicht auch nicht.
Die Küstenstraße führte mich an das in Dunkelheit versinkende Dakar heran, der Verkehr war mäßig und ich brauste dahin wie in einem Werbespot. Karge Landschaft, eleganter Wagen. Keine Widersprüche, kein Staub, nur Perfektion.
Die Medina war von der Küste aus leicht zu erreichen. Ich folgte der Route de la Corniche, fuhr an der Universität vorbei, an der Susanne Vorlesungen belegt hatte, und passierte einen Fischmarkt, der als Drehort für alle afrikanischen Fischmarktsequenzen sämtlicher Universum-Folgen hätte gedient haben können.
Als ich in einiger Entfernung die bizarre Tröte der Frau vom Monument vor dem nächtlichen Himmel leuchten sah, verlangsamte ich mein Tempo und versuchte zu erraten, welche der vielen Seitengassen, die von der Corniche in das finstere Gestrüpp niedriger Häuser zu meiner Linken abzweigten, die Rue Ousmane Diéne sein mochte. Auf meinem Plan war eine Straße dieses Namens als einer von wenigen größeren Straßenzügen in dieser Gegend eingezeichnet und so bog ich in die einzige beleuchtete Gasse ein, in der Hoffnung, sie nicht mehr verlassen zu müssen. Unter den massiven Reifen des Pajero knirschte ein Gemisch aus Sand, Lehm und Asphaltresten, Bäume standen links und rechts der Straße, Kabel oder Schnüre hingen bis in Kopfhöhe von desolaten Masten herunter und säumten die breiten Gehsteige. Es waren nur wenige
Leute auf der Straße und ich konnte sie kaum sehen, weil sie im Dunkel unter den Bäumen vor ihren Häusern zusammenstanden. Ich war mir sicher, dass ihre Blicke mich meinen gesamten Weg lang verfolgten. Keines der Häuser hatte mehr als einen Stock, in der Dunkelheit sahen sie unfertig und roh aus. Die Türen gähnten wie schwarze Löcher in den Mauern, Fenster schien es kaum zu geben. Abgesehen von den vereinzelten Straßenlaternen waren die wenigen höhlenartigen Geschäfte mit ihren flackernden Neonröhren die einzigen Lichtquellen. Es war still hier und bedrohlich und ich bewunderte Susannes Talent, Gegenden zu mögen, die mich beinahe augenblicklich deprimierten. Bestimmt hatte sie einen gut durchdachten Appell über die „Echtheit“ des Lebens hier parat, falls ich sie nach den Gründen ihrer Begeisterung für dieses Viertel fragte.
Doch plötzlich, als entdeckte ich nahe Ursa Minor einen McDonald's in den unendlichen Weiten des Weltraums, sah ich ein trüb gelbes Schild, auf dem „Medinoise“ stand. Erleichtert, sogar freudig, blickte ich mich um, und der Gedanke, hier nicht verirrt und verloren zu sein, ließ meine Umgebung etwas freundlicher erscheinen. Immerhin, ich rollte durch
eine Allee stattlicher Bäume, der Abend war mild und ruhig und ich war ein Orientierungsgenie. Dennoch war ich ein wenig nervös wegen des bevorstehenden Gesprächs und ordnete noch einmal die wenigen Dinge, die ich Susanne sagen wollte, in meinem Kopf. Ich hatte sie betrogen und es tat mir leid. Ich hatte sie aber auch sehr vermisst. Auch das würde ich ihr sagen. Und ich wollte ihr danken. Sie hatte mich nach meiner Schlägerei nicht aufgegeben, obwohl ihre Eltern und ihre Freunde es von ihr erwartet hatten. Ich hatte sie gebraucht, sehr gebraucht, und sie war bei mir geblieben. Jetzt war die Sache ausgestanden und ich würde mich ändern. Ich wollte sie nicht verlieren, sondern neu anfangen. So prächtig ließ sich meine Gefühlslage darstellen. Ich stieg aus dem Wagen.
„Sind Sie Chi?!“
„Warum?“
„Ja, warum oder nein, warum?“
„Ja, warum?“
„Willkommen, Chi!“ Ein kleiner, gummiartiger Schwarzer bog sich mir mit ausgebreiteten Armen entgegen und ehe ich mich versah, wurde ich umarmt und in ein umfangreiches Begrüßungsritual verwickelt, in dessen Verlauf ich ein halbes Dutzend Fragen nach meinem Befinden, dem Verlauf meiner Reise, meinen Geschäften, der Gesundheit meiner Familie und meinem Wohlergehen im Senegal beantworten musste.
Ich lächelte, hielt meine Brieftasche fest, antwortete höflich und fragte pflichtschuldig zurück: „Und bei Ihnen, ... und bei Ihnen, ... und bei Ihnen ...“
Bei ihm war auch alles bestens, also blieb nur noch eins zu klären: „Und wer sind Sie?“
Der kleine Gummischwarze lachte fröhlich und entschuldigte sich:
„Pardon, ich bin Boubacar Ngom. Ein Studienkollege von Susanne. Ich war schon so gespannt, Sie zu sehen. Susanne hat mich gebeten, nach Ihnen Ausschau zu halten. Man kann sich nicht leicht zurechtfinden hier ...“
„Danke, es war kein Problem.“
„Ja, ich sehe! Sie sind sogar selbst hergefahren.“
„Der Wagen ist Überraschung für Susanne. Also pst!“
„Oh ja, oh ja, natürlich! Pst! Sie wird sich sehr freuen!“ Boubacar rollte mit den Augen. Offenbar glaubte er, ich würde Susanne den Wagen mir nichts dir nichts schenken. Schließlich war ich reicher Weißer.
„Nur gemietet“, stellte ich klar, „für Ausflüge ins Senegal.“
Boubacar war um nichts weniger beeindruckt. „Der Senegal ist wunderschön. Sie werden sehen. Aber kommen Sie herein!“
Mit dem Schritt über die Schwelle des Medinoise hatten wir geschätzte 4000 Kilometer zurückgelegt und befanden uns jetzt im Hafenviertel von Marseille bei irgendwelchen halb kriminellen Alt-68ern in einer pastisgeschwängerten Kneipe für verhinderte Revolutionäre. Die Jimis (Hendrix und Morrison), Che, Bob Dylan – alle waren in Postergestalt hier, nur der Kneipier sah unpassenderweise aus wie Alain Prost und hantierte hinter seinem Tresen mit oder an einer anrüchigen afrikanischen Schönheit herum. Ganz hinten an einem wackeligen Tisch saß Susanne. Als sie mich hinter Boubacar durch den Vorhang aus losen Schnüren schlüpfen sah, stand sie auf und kam uns einige Schritte entgegen. Sie drückte Boubacar freundschaftlich den Arm – er war gut zehn Zentimeter kleiner als sie –, dann standen wir einander für einen Augenblick gegenüber. Ich schloss sie in die Arme und Susanne erwiderte zurückhaltend den Druck meines Körpers. Die Situation war unangenehm. Wir standen mitten im Lokal, die Blicke der Gäste lasteten auf mir und irgendjemand sagte: „Ah, Monsieur ...“.
Meine körperlichen Wahrnehmungen in diesem
Moment waren eher diagnostisch, Susanne hatte abgenommen. Kaum hatten wir uns aus unserer Umarmung gelöst, lag schon wieder ein Meter Niemandsland zwischen uns.
Susanne sagte "Setzen wir uns doch" und weil sie es auf Französisch sagte, setzten wir uns, wir drei. Mit einem kurzen Lächeln wendete sie sich Boubacar zu und sprach einige Sätze Wolof mit ihm. Diese verrückte, bellende Sprache machte sie vollends zu einer Fremden und in den ganzen drei Monaten ihrer Abwesenheit waren wir noch nie soweit voneinander weg gewesen. Alain Prost brachte uns Pastis aufs Haus und verkündete, dass es ihm eine große Freude war, mich zu treffen, und obwohl er wusste, dass ich aus Österreich stammte, war das für ihn dasselbe, als käme ich aus Australien, denn er sprach mit allen immer nur Französisch. Das war nicht nur überaus originell, es unterschied ihn auch klar von allen anderen Franzosen. Trotzdem mochte ich ihn mehr als alle anderen Franzosen und zwar einzig und allein dafür, dass er sich nach diesem humorigen Überfall sofort wieder verzog.
Nach endlosen Minuten – wir stießen mit Pastis, Bier und Cola auf meine Ankunft und die Freude, mich kennenzulernen, an – trollte sich dann auch
Boubacar und meinte weltgewandt, dass wir sicher Zeit für einander haben wollten. Trotzdem machte Susanne keine Anstalten zu gehen. Die Zeit, die wir noch hatten, sollten wir offenbar hier im Medinoise verbringen und Susanne machte Konversation. Alain Prost putzte hinter seinem Tresen Gläser und sah neugierig zu uns herüber. Auch der Rest des Lokals schien unser ausgelassenes Wiedersehen zu belauern, im muffigen Halbdunkel konnte ich die Gesichter der Schwarzen jedoch kaum erkennen. Jedenfalls fand ich, dass das nicht ganz der richtige Augenblick war, sofort ein Geständnis auf den Tisch zu knallen und ein neues Zeitalter auszurufen. So etwas musste man ein bisschen vorbereiten. Also hörte ich Susanne zu, erfuhr, dass sie in einem Haus mit einer 15-köpfigen Familie lebte, dass es so etwas wie Privatsphäre in Afrika nicht gab und dass sie nächste Woche wieder in Rufisque sein musste.
Susanne war anders als ich. Sie wartete nicht auf den richtigen Augenblick. Sie sagte, was ihr wichtig war. Und damit war sie noch nicht fertig. Also schwieg ich.
Susanne erzählte von ihrem Projekt, von der Verantwortung, die sie übernommen hatte und davon, wie viel ihr das alles bedeutete.
Und irgendwann sagte sie:
„Ich möchte im Lauf des nächsten Jahres meinen Lebensmittelpunkt hierher verlegen.“
Sie sah mich nicht an, während sie das sagte. Erst jetzt hob sie ihren Blick und sah mir in die Augen. Sie trug kein Make-up, ihre Augen wirkten kleiner als früher. Ein kitschiger feuchter Saum ließ ihre unteren Lider verschwimmen. Lebensmittelpunkt. Eine Volkszählung hatte uns dieses Wort geschenkt. Als siebzehntes Familienmitglied in ihrem neuen Haus war ich jedenfalls nicht vorgesehen und dabei hätte ich es bewenden lassen sollen. So oder so, es war ein neues Zeitalter und ich war nicht mehr Susannes Lebensmittelpunkt. Ich war immer schon schlecht darin gewesen, um jemanden zu kämpfen. Trotzdem sprudelte ich los, als gäbe es noch etwas zu retten. Ich redete ohne Plan und ohne Unterlass, ohne Chance, Susanne, die mich verlassen wollte – es in Gedanken wohl schon längst getan hatte –, wenigstens hier und jetzt ein letztes Mal zu erreichen. Ich redete sie immer weiter von mir weg und machte es ihr damit nur leichter. Wahrscheinlich hatte sie dieses Gespräch ein Dutzend Mal durchgespielt und sich alles genau
überlegt, während ich hier saß, unvorbereitet und wehrlos, mit nichts als ein paar kitschigen Phrasen, die mir in einer abgelegenen Bucht eingefallen waren.
Susanne saß mir gegenüber, antwortete und argumetierte und und wickelte unsere Beziehung ab wie ein Projekt, in dem nur noch die Endabrechnung fehlt. Nicht einmal die Frage, was ich mit all ihren Sachen in meiner Wohnung machen sollte, konnte sie aus der Reserve locken. Nur für einen Moment sah sie ein bisschen traurig aus; sachlich zu sein, war normalerweise ihr Part. Dann fragte sie mich, ob ich den ganzen Kram einstweilen zu ihrer Freundin Therese bringen konnte.
Ich weiß nicht mehr, wann uns die Liebe verlassen hat. Sehr lange ist es noch nicht her. Übergeblieben waren nur Gewohnheiten, nicht einmal eine Beziehung. Eigentlich geschah es nur noch aus Verzweiflung, aber ich sagte es trotzdem:
„Ich habe einen Wagen für uns gemietet.“
„Was?“
„Einen Wagen. Ich dachte, wir ziehen einfach mal wieder gemeinsam los. Sollte eine Überraschung sein. Weihnachten und so.“
Das sollte gesessen haben. Vielleicht war ich selbstgerecht und gemein, aber ich war auch verletzt. Susanne sollte diesen Abend, den sie für mich vorbereitet hatte, nicht ausschließlich als Organisationsmeeting einer transkontinentalen Schlüsselrückgabe in Erinnerung behalten. Das war das Letzte, das ich ihr noch geben konnte.
Der Wasserstand war wieder im Steigen. Ich hätte einfach den Mund halten und gehen sollen. Dann hätte ich wenigstens nicht mehr mitbekommen, dass Susanne hier keine Tränen der Rührung zurückhielt.
„Das ist so typisch!“ Sie flüsterte es halb, trotzdem kippte ihre Stimme. Lange unterdrückter Zorn klingt so. „Alles geht den Bach runter und du kreuzt mit einem funkelnden Wagen auf und rettest unsere Liebe: 'Ziehen wir einfach mal wieder gemeinsam los' ...!“
„Und? Das ist jetzt lächerlich oder was?“
Alle Gesichter hatten sich unserem jungen Glück zugewendet, aber der Verdruss war groß: Keiner hier sprach Deutsch und unser Drama lief ohne Untertitel.
„Vor einem Jahr wäre es noch nicht lächerlich gewesen.“
Ich war etwas aus dem Konzept. „Was war vor einem Jahr?“
„Vor einem Jahr hatte ich noch genug Lust auf dich,
um mit all deinen Weibern um dich zu kämpfen.“
Das hatte gesessen.
„Wow. Ich habe gehofft, wir könnten das wieder hinkriegen. Aber das werden wir nicht?“
„Nein, Chi.“
„Wahrscheinlich klingt das jetzt wieder lächerlich, aber ich wollte alles wieder in Ordnung bringen, dir alles zu erzählen und ...“
„Chi, bitte. Du bist ein hübscher Bursche. Den Rest kann ich mir vorstellen.“
„Und du? Du bist nicht hübsch? Bei dir hat es nie einen anderen Kerl gegeben? In Köln, in England, bei all den beschissenen Seminaren?“
"Was hätte das für einen Unterschied gemacht? Ausgleichende Ungerechtigkeit? Würdest du dich besser fühlen?"
Es war zum Verzweifeln. Aber immerhin waren wir seit Langem mal wieder ehrlich zu einander: „Vielleicht hast du recht. Unsere Beziehung ist daran gescheitert, dass sie nie eine Beziehung geworden ist. Uns ist irgendwann einfach die Liebe ausgegangen.“
Für einen Augenblick schwieg Susanne ehrlich überrascht. Alles, was mein Leben zu einem der glücklichsten gemacht hatte, kam für einen Moment zurück: Susanne und ich waren einmal unschlagbar gewesen. Und es hatte uns nicht einmal interessiert. Wir kümmerten uns nur um einander, der Rest lief blendend und ganz von selbst. Unsere Herzen waren ein Garten, unsere Liebe war wie Tauchen in Milch. Jetzt hier zu sitzen, all das zu hören und all das zu sagen, war hart. Aber unser Glück war schon lange verloren. Auch ohne es zu sagen, hatten wir uns daran gewöhnt. Susanne war wieder dran.
„Uns ist die Liebe ausgegangen? Du hast mich erwürgt! Mit deiner blöden Panik, dass dein Leben wegen einer Vorstrafe zu Ende sein könnte. Und als es dir dann wieder besser gegangen ist, haben dich andere Frauen mehr interessiert.“
„Das ist nicht wahr.“
„Chi, nicht mal hier und heute kannst du dieses Lokal betreten, ohne die geile N'gone hinter der Bar zu scannen!“
„Ok, das reicht jetzt! Ich wollte einfach mit dir auf Urlaub fahren. Woher sollte ich wissen, dass ich für dich nichts als Abschaum bin?“
Immerhin schlugen unsere Herzen noch immer soweit im selben Takt, dass jetzt auch Susanne der Kragen platzte.
„Das reicht? Schau dich doch mal an, Chi! Du mit deinen hirn- weichen Medienkumpels, der sexy Superkapitalist, ficken, was sich ficken lässt, saufen,
koksen und alles, was du siehst, ist in Einstellungen aufgelöst! Als würdest du gar nicht mehr zu dieser Welt dazugehören. Als wäre alles nur ein Schauplatz und wenn das Thema abgefrühstückt ist, macht man sich aus dem Staub. Von mir aus: In deinem Beruf kannst du machen, was du willst. Aber was fällt dir zu uns ein? ‚Reinen Tisch machen’ und dann Versöhnungsrundfahrt! Vergiss es, Chi!“
„Und du? Lebensmittelpunkt verlegen, ja? Ich habe keine Ahnung, was zum Teufel du hier eigentlich treibst, aber eines kann ich dir sagen: Mit schwarzen Mackern durchs Bett toben, das ist keine teilnehmende Beobachtung, das ist Sextourismus!“
Das war's dann. Susanne war schon auf den Beinen, ihr Bierglas in der Hand und ich war nass. Das Ergebnis senegalesischer Braukunst brannte in meinen Augen, lief mir übers Gesicht und da Susanne kaum etwas getrunken hatte, war auch für
mein Hemd noch genug übrig. Ich wollte aufspringen, etwas Fürchterliches brüllen, den Tisch zertreten, was auch immer, aber ich konnte nichts sehen. Also blieb ich sitzen und spürte, wie das Bier seinen Weg auf meinen Sessel fand. Ich torkelte hoch, das linke Auge zugekniffen, das rechte unter Schmerzen einen Spalt weit geöffnet und sah Susanne mit Boubacar im Schlepptau durch das Lokal stampfen. Das Bier in meinem Auge wirkte wie ein Blurfilter und ließ die Szenerie verschwommen und verklärt erscheinen.
Ich wankte in die Richtung, in der ich das Klo vermutete, riss eine Tür auf und befand mich in einem großen, grell erleuchteten Raum, in dessen Mitte ein Loch im Boden als Abort diente. Ich schloss die Türe hinter mir. Sie war nichts als ein schwarz gestrichenes Holzbrett. Das Bier brannte in meinen Augen und nach der schummrigen Dunkelheit im Lokal tat das Neonlicht das Übrige, mich mit sägendem Kopfschmerz auszustatten. Blinzelnd wie ein Maulwurf trat ich ans Waschbecken. Der Wasserhahn gurgelte grölend und pfeifend eine dreckige Suppe hervor, der in dünnem Getröpfel ein bisschen gechlortes Wasser folgte. Ich wusch mein Gesicht, versuchte, mir die Augen auszuspülen, und starrte mich in den verdreckten Scherben an, die als Spiegel dienten. Meine Augen waren gerötet und tränten, mein geschorener Kopf, meine Nase und meine Ohren zeigten deutliche Spuren der nachmittäglichen Sonnenbestrahlung und mein gutes Hemd klebte wie nasses Klopapier an meiner Brust. Besser hätte es mir nicht gehen können. All die schwarzen Supermachos, von denen mich nur eine klapprige Türe trennte, kannten Susanne, hatten seit Monaten darauf gewartet, ihren
„Monsieur“ kennenzulernen und waren nun befriedigt Zeugen einer ultrabrutalen Abfuhr geworden. Dass Susanne mich so gehasst oder verachtet hatte, überraschte mich. Ich hatte sie nicht gehasst. Ich hatte sie einfach nicht mehr geliebt.
So oder so. Ich konnte nicht ewig auf diesem stinkenden Klo bleiben. Mit all der Pisse auf dem Boden, der Kruste von Exkrementen rund um das roh gemauerte Scheißloch und der albernen kleinen Gießkanne, die scheinbar als Spülung dienen sollte, passte es ganz hervorragend zu meiner Stimmung, aber trotzdem: Ich konnte nicht gut hier bleiben. Ein letzter Blick in den Spiegel überzeugte mich, dass es für das verschmierte Bisschen, das von mir übrig war, nichts mehr zu verlieren gab und ich öffnete die Tür.
Das Lokal war unverändert, die Gäste saßen unbeteiligt herum, keiner sah auf. Von irgendwoher hörte ich Gelächter. Ich schritt mit starrem Blick auf die Bar zu und Alain Prost wandte mir dienstbeflissen sein serviceorientiertestes Selbst zu.
„Merde“, sagte er verständnisvoll.
„Oui, merde“, sagte ich und fügte hinzu, dass ich zahlen wollte.
„Lassen Sie mal. Ich lade Sie auf einen Pastis ein. Wissen Sie, wenn ich zuerst diesen Pastis ansehe und dann Sie, dann sehe ich, dass ihr füreinander geschaffen seid.“
Alain Prost hatte seinen Spaß.
„Ja, du verwichstes Arschloch, her mit dem Schnaps.“ Es hatte auch seine guten Seiten, dass Alain Prost nur Französisch sprach.
Neben mir stand ein großer Schwarzer, der irgendetwas auf Wolof knurrte, woraufhin ihm Alain Prost lang und breit erklärte, dass er keine einzige Fremdsprache spreche und schon gar nicht Wolof. Dabei schenkte er mir einen Pastis ein, mit dem ein Regiment von Fremdenlegionären glücklich geworden wäre.
„Auf's Haus“, meinte er, „und verzeihen Sie, aber
wir haben selten so impulsive Szenen hier.“
„Schon gut. Ich machen das jede Tag.“
„Jedem das seine.“
Prost verzog sich, ich rieb mir die Augen und nahm einen Schluck Schnaps. Dieser widerwärtige französische Zwerg war ein schadenfrohes Miststück, aber er hatte Recht: Der Pastis tat mir gut.
Ich stand hier, mitten in Afrika, in einer Bar und der Gedanke daran, dass meine einzige große Liebe beim Teufel war – und das schon lange – saß irgendwo in Wien und wartete auf mich. Im Moment war ich völlig alleine und meine Lage sah in etwa so aus: Ich stand hier, mitten in Afrika, in einer Bar, mit Bier übergossen von einer weißen Frau, die jeder hier im Raum begehren musste, und trat ein neues Zeitalter der Unbeschwertheit an. Ich fühlte mich frei. Kein Mit-Susanne-Modus mehr, keine Einschränkungen und lächerlicher, als ich schon da stand, konnte ich mich nicht mehr machen. Darüber hinaus hatte ich alles, abgesehen von einer Frau, einem Freund oder wenigstens irgendjemandem, den ich gekannt hätte. Aber ich hatte Schnaps und ich war frei.
„Was haben Sie eigentlich zu Alain Prost gesagt?“
„Alain Prost?“
„Dem Kneipier.“
Der große Schwarze neben mir lachte. Er hatte eine angenehme Stimme und verstand offenbar Englisch.
„Ich habe ihm gesagt, dass er nicht sehr lustig ist.“
„Objektiv betrachtet war es ganz lustig. Ich verliere meine Frau und er verkuppelt mich mit einer Flasche Schnaps. Voilà.“
Der Schwarze saß auf einem klapprigen Barhocker und hatte ein Cola vor sich stehen. Im Gegensatz zu den meisten Männern hier war er keine Schönheit. Sein Brustkorb war eingefallen, seine Schultern waren rund und sein Gesicht erinnerte mich an einen der Geier aus Walt Disneys Version des Dschungelbuchs. Aber er wandte sich mir zu.
„Sie nehmen es mit Humor. Santé!“
„Santé!“
Er war ein ziemlich sympathischer Geier.
„Wie heißen Sie?“
„Assane. Und Sie?“
„Chi.“
„Angenehm.“
„Ebenfalls. Zumindest gebe ich mir Mühe.“
Assane lachte wieder. „Was haben Sie jetzt vor.“
„Keine Ahnung. Ich habe einen Wagen gemietet. Vielleicht seh ich mir ein bisschen was vom Senegal an.“
„Ich dachte eher an jetzt. Oder möchten Sie etwa hier bleiben?“
Die Frage brachte mir wieder zu Bewusstsein, dass ich genauso gut mit heruntergelassener Hose an diesem Tresen hätte stehen können.
„Ich fühle mich ehrlich gesagt nach lauter Musik.“
„Ähm, haben Sie noch ein frisches Hemd?“
„Im Wagen, warum?“
„Ziehen Sie sich um, dann zeige ich Ihnen eine Disco, die Sie vielleicht aufmuntern wird. Wenn Sie das wollen.“
„Aufmunterung kann mir nicht schaden.“
Vielleicht wollte mich dieser Assane ganz einfach noch weiter in den finsteren Schlund seines Viertels entführen, mir mit einer Schaufel auf den Kopf hauen und mich all meiner Besitztümer – frisches Hemd inklusive – berauben. Wenn dem so war, wünschte ich mir nur, er würde sehr, sehr hart zuschlagen. Gleichzeitig sah Assane absolut nicht aus wie jemand, der Touristen überfiel.
Er war lässig gekleidet und im Gegensatz zu seinen athletischen und derben Landsleuten wirkte er auf eine hinfällige Art erhaben. Außerdem war er der einzige Senegalese, den ich jemals alleine gesehen hatte. Ob Frauen, Männer oder Kinder, Senegalesen waren nur in Gruppen unterwegs. Assane hingegen schien in seiner Abgeschiedenheit genauso wenig hierher zu gehören wie ich. Vielleicht bildete ich mir all das aber auch nur ein, um den Gedanken an die Schaufel zu vertreiben.
„Ñu ngi dem“, sagte Assane.
„Was?“
„Gehen wir.“ Er lächelte und sah sehr zufrieden aus.
Draußen fischte ich ein bunt bedrucktes Hemd aus meiner Tasche und entdeckte an der Außenmauer des Lokals einen Wasserhahn, mit dem man den kleinen Vorgarten bewässern konnte. Ein zotteliger Hund lag zwischen unbenutzten Tischen und Stühlen in dem winzigen Gärtchen und rülpste mir ein tiefes Kläffen entgegen, als ich versuchte, das Wasser aufzudrehen. Als ernsthafte Bedrohung schien er mich jedenfalls nicht zu empfinden, er erhob sich nicht einmal.
Der Wasserhahn war knapp 10 Zentimeter über dem Boden angebracht und es bereitete mir im Halbdunkel der Straße erhebliche Mühe, mich auch nur ansatzweise vom üblen Dunst meiner Bierdusche zu befreien. Als ich zum Wagen zurückkehrte, grinste Assane und meinte: „Der Wasserdruck in Dakar ist sehr gering. Darum findet man den Wasserhahn oft sehr weit unten.“
„Not macht erfinderisch“, sagte ich auf Deutsch.
„Bitte?“
Ich mühte mich um eine akzeptable Übersetzung und Assane meinte: „Ein gutes Sprichwort. Aber wo Wasser ist, ist keine Not.“
Wasser – Not – Afrika, ich hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl, gepaart mit westlich schlechtem Gewissen. Assane schickte seiner belehrenden Sentenz ein folkloristisches Lachen hinterher und ich kam mir schon wieder lächerlich vor: Chi, der Betroffenheitstourist.
Gewappnet mit neuem Wohlgeruch und frischem Hemd glitt ich mit Assane und meinem Pajero durch das nächtliche Dakar. Unser Ziel war eine Disco namens Alizé, die in der Nähe des Flughafens lag, und zu Assanes Erstaunen kannte und fand ich den Weg dorthin. Assane saß am Beifahrersitz und schraubte an den Knöpfen der Klimaanlage herum.
„Mit Klima. Das ist sehr praktisch hier.“
„Ich habe den Wagen von der Produktionsfirma übernommen. Ich wollte ... na ja, egal. Vielleicht können Sie mir ja auf der Karte einige sehenswerte Gegenden zeigen, die ich besuchen kann. Mein Rückflug geht erst in zwei Wochen. Ich weiß nicht, ob ich umbuchen möchte.“
„Bleiben Sie. Der Senegal ist ein schönes Land. Ich glaube, man weiß in Österreich fast nichts darüber. Sie werden staunen.“
Offenbar wurde jeder Senegalese zum Fremdenverkehrsmanager, sobald man über sein Land sprach, und vielleicht war es ja wirklich ganz interessant hier.
Der Verkehr war sehr mild, trotzdem fuhr ich langsam. Mit dem Pastis intus wollte ich mir nicht zu viel zumuten, außerdem deutete alles darauf hin,
dass ich unter Schock stand. Ich fuhr mit einem Wildfremden in eine Disco und alles, was mir zu der Möglichkeit einfiel, ich könnte hier ganz hässlich vorgeführt werden, war der Wunsch, man möge mir – wenn schon – das Licht gleich ganz ausknipsen. Das war nicht sehr reif. Trotzdem, ich war hier und in Assanes Gesellschaft nicht in Gefahr. Das wusste ich einfach. So fühlte sie sich eben an, die Unbeschwertheit.
Das Alizé war eine kapitale Überraschung. Ein großer, angenehm erleuchteter Kundenparkplatz, weiße Kieswege, gepflegte Gartenanlagen, unvorstellbare schwarze Hünen zur Exekution der Türpolitik – das ganze Ding hätte genauso gut in Velden am Wörthersee stehen können. Mit dem Unterschied, dass hier wirklich extrem gut aussehende und bestgekleidete Menschen unterwegs waren.
Assane begrüßte einen der Türsteher, den er "Papillon" nannte, und nach kurzem Geplauder kamen wir ohne Anzug und ohne Schwierigkeiten hinein. Im Stillen hatte ich mich darauf eingestellt, alles mal zwei zu bezahlen, da Susanne sich in einem ihrer frühen Mails darüber beschwert hatte, dass man als Weißer automatisch für das Zahlen verantwortlich war. Und zwar für alle. Assane unterschied sich auch in diesem Punkt von seinen Landsleuten, beglich den stolzen Eintrittspreis selbst und als er mich an der Bar auf einen Gin Tonic einladen wollte, nötigte ich ihn, etwas auf meine Rechnung zu bestellen.
Das Innere des Alizé erinnerte stark an teure Nobeldiscos im südlichen Frankreich. Nahe der Bar gab es wie in europäischen Clubs kleine Chromtischchen, an denen man saß, um zu sehen und gesehen zu werden, weiter hinten im Raum erkannte ich plüschgepolsterte Logen, die von jenen frequentiert werden konnten, die sich mit dem Sehen begnügten oder gänzlich anderen Verrichtungen nachgingen. Diese Logen zogen sich über die gesamte Länge des großen Raumes und flankierten die riesige Tanzfläche, die am Ende von einer Bühne abgeschlossen wurde. Es war noch nicht viel los, die Bühne war dunkel und auf der Tanzfläche ließen zwei Schwarze, die aussahen, als wären sie einem Eminem-Video entstiegen, scherzend und obszön ihre Becken kreisen.
Assane und ich fläzten uns in eine der Logen an der Grenze zwischen Barbereich und Tanzfläche und hatten das Wenige, das sich tat, gut im Überblick.
Von oben tropfte mir das Kondenswasser der Klimaanlage auf den Kopf und erinnerte mich an früh adoleszente Sommernächte in den Discos namenloser mediterraner Urlaubsorte, die ich einzig dem Zweck gewidmet hatte, mit jungen, leicht
geschürzten Holländerinnen in Kontakt zu kommen. Was meist erst gelang, nachdem der betörende Geruch junger, sonnengebräunter Haut von beißendem Tequiladunst vertrieben worden war und man froh sein musste, wenn beim Küssen niemand kotzen musste.
Das Alizé hingegen schien nur dem Zweck zu dienen, seinen Besuchern vorzuspiegeln, sie wären bereits in Europa. Das Bier war importiert, hinter der Bar wurde mit Plakaten von Nike, Mercedes und Camel zusammenhanglos dem westlichen Markenfetischismus gehuldigt und das gesamte Personal war streng nach der europäischen Mode gekleidet. Nur die Musik machte mir klar, dass ich weit von zu Hause weg war: Britney, Justin und Destiny's Child hatten hier Lokalverbot, aus den Boxen krachte und knatterte der verrückte Mbalax, der jede senegalesische Hüfte zucken ließ. Das gefiel mir. So sehr auch jeder im Alizé versuchte, ein echter Europäer zu sein, war doch allen klar, dass es hier die bessere Musik gab.
Ich teilte beschwingt meine Beobachtungen mit Assane, und er zeigte sich mit mildem Lächeln von den scharfen Schlussfolgerungen beeindruckt, die ich aus dem Wenigen zog, das ich gesehen hatte.
Er hatte eine sehr angenehme Art, einen zu verspotten. Trotzdem, meinte er, hatte ich zum Teil Recht. Auch die Reichen im Senegal träumten vom Status eines Lebens in Europa oder den USA. Und das, obwohl sie sich im eigenen Land vermutlich weit mehr Luxus und Privilegien ergaunert hatten, als sie anderswo je erreichen konnten. Nur eins: „Du wirst sehen: Das ist keine europäische Disco.“
Assane und ich plauderten über Musik, ich soff zu jedem seiner Gin Tonics zwei Gin Tonics und allmählich füllte sich der Laden. Und je mehr Menschen das Alizé bevölkerten, desto klarer wurde mir der Hintergrund von Assanes kryptischer Andeutung. Zunächst überraschte mich die Zusammensetzung des Publikums. Korpulente, ältere Männer in tadellosen Anzügen manövrierten ihre traditionell gewandeten, äußerst voluminösen Frauen zu den besten Logenplätzen. Bevor man sich setzte, wurde einer der Kellner wegen der tropfenden Klimaanlage beschimpft, die Frauen fuchtelten mit ihren Wickeltüchern und die Männer forderten Getränke sowie die Reinigung der Sitzgelegenheiten. Anstatt sich mit unterwürfigem Dienstleistergehabe aufzuhalten, heizten die Kellner ihrerseits die Stimmung mit frechen Sprüchen an, bis in den
Logen nach meinem Verständnis wüste Streitereien zwischen Gästen und Personal tobten. Assane klärte mich jedoch auf, dass es sich dabei um heitere Wortgefechte handelte, die tief in der senegalesischen Kultur verankert waren. Nur wer dieses Hickhack meisterte, setzte sich hier durch. Gleichzeitig wies er mich mit leiser Stimme darauf hin, dass dieser oder jener Mann der General- sekretär der Post, ein anderer der Direktor irgendeiner Bank und der Dicke am anderen Ende der Kabinettschef eines Ministers war. So weit, so Opernball.
So sehr ich jedoch versuchte, mit meinen Blicken Assanes diskreten Zeichen zu folgen, ich wurde ständig abgelenkt. Denn all diese fülligen Plaudertaschen setzten scheinbar ausschließlich unglaublich schlanke und gut aussehende Töchter in die Welt. Gegen ein oder zwei Uhr morgens würde ein Superstar des Mbalax hier auftreten, bis dahin wurde mit Vorliebe der aktuelle Hit von Viviane aufgelegt, der Schwester des tatsächlich weltberühmten Youssou N'Dour. 7 Seconds, gemeinsam mit Neneh Cherry, das kennt fast jeder von irgendeiner nichtssagenden Kuschelrock-CD.
Viviane hingegen brachte mich mit ihrer Stimme,
die selbst ein mit Taubheit Geschlagener noch mit dem Unterleib hätte wahrnehmen können, langsam in eine kritische Stimmung. „Come into me“, sang sie und
„you´re the only one.“ Dazu bogen, dehnten und präsentierten sich die schönsten Frauen, die ich in Dakar gesehen hatte. Sie wussten, wie sehr sie begehrt wurden, sie wussten, wie schön sie waren, und sie ließen ihre Hintern kreisen, reckten ihre Brüste und bewegten sich mit quälender Langsamkeit vor den Augen der Männer. Auch nackt hätten sie nicht erregender sein können.
Zwischen den Frauen vollführten unendlich biegsame Burschen einen hüftschlenkernden Two-Step, dessen Eleganz gelegentlich von irrwitzigen Soli zerrissen wurde, die den Eindruck erweckten, der Tänzer wäre bloßfüßig auf eine Herdplatte geraten. Den Mädels gefiel das, und hin und wieder antwortete eine von ihnen den ekstatischen Explosionen ihrer Galane mit einem Gegentanz, bei dem es einzig und allein darum ging, dem auserwählten Tänzer das Becken entgegenfedern zu lassen. Dazu wurden die Hände hinter den Kopf gelegt und unter dem schimmernden Stoff seidener Blusen zeichneten sich deutlich und fordernd die Brüste der Tänzerinnen ab.
Assane hatte recht. In Europa hätte eine einzige solche Darbietung augenblicklich zu einer Massen- vergewaltigung geführt.
„Scheiße.“
„Möchtest du tanzen?“ Assane hatte wieder sein süffisantes Lächeln aufgesetzt und ich schloss den Mund.
„Ich kann nicht“, antwortete ich tonlos. Ich war ziemlich betrunken und hormonell vollständig aus dem Lot. Hennings Leben musste die Hölle sein, wenn er tatsächlich regelmäßig das Opfer einer vergleichbar ungestillten, alles versengenden Geilheit war, wie ich sie gerade durchlitt. Seit meiner Zeit mit den Holländerinnen kannte ich jenen Punkt ganz gut, ab dem das sexuelle Verlangen in keinem Verhältnis zu den Möglichkeiten stand, die der Alkohol einem gelassen hatte. Diesen Punkt hatte ich zweifellos weit hinter mir gelassen, also betete ich mir mantraartig vor: "Tu nichts, Chi, tu gar nichts.“
Und dann musste ich aufs Klo.
Assanes besorgter Gesichtsausdruck begleitete mich ein Stück meines schwankenden Weges und ich torkelte durch das Alizé wie ein gaffender Narr. Ich wurde gerempelt, hatte Mühe mit dem Gleichgewicht und litt unter der furchtbaren Demütigung, nicht auch schwarz zu sein. Ich war weiß. Ich war nicht nur weiß, ich war unsichtbar. All diese aberwitzig schönen, gonadenverdrehend erotischen Frauen konnten mich nicht einmal sehen. Ich gehörte hier nicht dazu. Ich stolperte über Füße, hörte Spottworte und war der lächerlich wackelnde Popanz der Schönsten der Schönen und der Männer, die mit diesen Frauen fertig wurden.
Die Toilette bot mir Schutz. Zum zweiten Mal an einem Abend fand ich mich eingeschlossen in einem Abort, um mich den Demütigungen und dem Hohn Afrikas zu entziehen. Ich stand in meiner Kabine und beobachtete sie dabei, wie sie sich herrisch um mich zu drehen begann. Der Brechreiz zwang mich auf die Knie und mein Schädel baumelte über einem Universum aus Pisse, Kotsprenkel, Urinstein und Kalk – der Gestank traf mich wie ein Faustschlag. Hier und jetzt, kotzend, hatte ich einen letzten Moment strahlender Klarheit: Afrika ist ein verdammter Scheißhaufen. Nicht zu ertragen. Ich, der weiße Mann, sah mich selbst doppelt so deutlich hier, wo alle anderen schwarz waren. In meiner Welt hatte ich mich gut genug eingerichtet, um nicht auf Schritt und Tritt damit konfrontiert zu sein, dass ich ein Nichts war und ein Versager. Ungeliebt und kalt. Ich arbeitete, fraß und schiss und ließ mir bestätigen, dass das genau richtig war. Aber hier.
Ich erbrach mich geräuschvoll und ein dreckiger Gin-Tonic-Tsunami schleuderte wütend seine Gischt aus dem harten Weiß des Muscheluniversums zurück in mein Gesicht.
Hier. Es war eine fremde und unverständliche Welt und meine Idiotie stach hell gegen meine Umwelt ab. Ich hatte meine Frau verloren und meinen Job und ich hatte einen Nachmittag lang geglaubt, ich wäre unbeschwert und frei, nur weil ich vor lauter Meeresrauschen und Fremdheit und Exotik nicht mehr sehen wollte, wie mir alles immer mehr abhanden kam.
Ich saß am Boden der vollgepissten Toilette, den Rücken an die Tür gelehnt, zwischen meinen Beinen kauerte die Muschel, wie Susanne einst an einem unserer ersten Abende nach einem langen Spaziergang auf einem sonnenwarmen, grasweichen Hügel zwischen meinen Beinen gekauert war. Ihren Rücken mir zugewandt, selbst kotzend. Sonnenstich. Ich glotzte die Susanne-Muschel an, alles war grell, Minuten vergingen. Ich war wirklich allein in Afrika.